Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Stefans Bericht

 

Mit 18 war ich mit einem guten Kumpel auf der Reeperbahn. Die ganze Atmosphäre hat mich ziemlich abgeturnt, alles bunt, billig und nepp-mäßig. Ich verbrachte die Zeit in Spielhallen, während sich mein Freund massig "Fünf-Mark-Liveshows" antat. Ziemlich frustriert hatte ich die Absicht, in einem Sexshop etwas mit Stil zu kaufen - geradezu zwangsläufig erstand ich ein japanisches Bondageheft, dessen Erotik und Ästhetik mich beim Durchstreifen der bunten Pornoheftauslage in den Bann gezogen hatte. Da aber kein einziges Wort abgedruckt war und bis auf ein bißchen Spanking nicht viel "Handlung" drin vorkam, brachte ich es zunächst nicht mit SM in Verbindung (ich Dussel).

Meinen Stiefel- und Militärklamotten-Tick kann ich noch mit meinen militaristischen Kinderspielen erklären - Modellbaupanzer, kleine Plastikarmeen und jede Menge Kriegsfilme. Daß ich lange Zeit Pfadfinder war und in diesem Zusammenhang etwas geknotet habe, außerdem als Kind mal meine Kuscheltiere gefesselt habe, ist sicher 'ne nette Anekdote, aber nicht wirklich erklärend. Naja, um mal Vorurteilen entgegenzuwirken: keine Mißbrauchsgeschichte, keine gewalttätige Schulzeit.

Der große Sprung war sicher das Internet. Von den Bondage-pics gelangte ich zum begriff BDSM, dann zu SM, dann zu deutschen Seiten. Die Infos waren eigentlich fast immer fundiert, über Verhalten bei Parties, Bastelanleitungen bis zu Gedanken zum Selbstbild war alles zu finden. Einige Bilder oder ausformulierte Phantasien waren schon harter Tobak für mich als "nur mal Reinschnuppernder" und haben mir anfangs echt Sorgen über die Subkultur gemacht. Im BDSM-Chat habe ich mich zum ersten Mal eins-zu-eins mit SMlern unterhalten und ein durchweg positives Bild erhalten. Ganz normale nette Leute halt. Es wurde sich wirklich gekümmert, man konnte sogar auf der Website Bilder betrachten, mit wem man sich denn nun gerade unterhält. Alles gab ein positives Bild, die Angst, sich mit kriminellen Brutalos einzulassen, ließ sich nicht lange aufrechterhalten. Ich sagte zu, zum nächsten Stammtisch zu kommen und das tat ich dann auch.

Zunächst einmal habe ich relativ wenig Probleme damit, andere Ansichten zu haben als die Mehrheit, so blöde das klingt. Außerdem war ich noch nicht lange in Berlin, als ich zum ersten Mal zum Treffen gegangen bin. Gerade der Kleinstadt entflohen, fand ich nichts dabei, der Neugier und Versuchung nachzugeben und diesen Teil von mir zu entdecken. Meine Umgebung ist nicht gerade repressiv oder sonderlich konservativ, ich stehe unter relativ wenig Anpassungsdruck. Am wichtigsten von allem wahrscheinlich: ich glaube, ich war mir von Anfang an darüber im klaren, daß ich nicht aus "niederen Beweggründen" wie Gewaltverherrlichung oder Frauenhaß so denke, wie ich es tue, sondern daß meine "Neigung" nur eine andere Art von Sex, Liebe, Zuneigung darstellt und daß ich sicher nichts gegen den Willen eines anderen Menschen tun würde.

Meinem Mitbewohner habe ich es zuerst gesteckt, weil ich keine Lust auf ein Doppelleben hatte und er außerdem Sozialarbeit studiert - "das muß er abkönnen" habe ich gedacht. Er war erst schon recht irritiert und er hat wochenlang jeden herumliegenden Gürtel und jedes Schuhband für ein Sex-Toy von mir gehalten, das war aber eher lustig. Sonst wissen eigentlich meine Schwester und alle näheren Freunde davon. Vor einem Freund wollte ich es eigentlich geheimhalten, er kann recht tratschig sein, wenn er was getrunken hat. Außerdem habe ich mir gedacht, in Zukunft würde ich sicher schon den ein oder anderen anlügen müssen, da wäre er ja eigentlich ein gutes Übungsobjekt. Mittlerweile hat er's aber wohl spitzgekriegt, durch meine anderen Freunde, sei's drum. Meinen Eltern habe ich noch nichts gesagt. Ich habe die Vermutung, daß sie sich völlig falsche Gedanken machen und sich die wüstesten Dinge ausmalen. Außerdem erzählen sie mir ja auch nichts von ihrem Sexleben. Ich unterstelle einfach mal, daß es da auch irgendwas gibt, was mich erstaunen würde. Also bleibts beim Status Quo, ich sag nix, sie erzählen nix. Wenn ich ihnen allerdings mal in einem Club über den Weg laufe, lache ich mich tot.

Ich glaube, wer sich etwas Gedanken macht, kann durchaus was ahnen, aber ich glaube, wir geben ein zu harmonisches Bild ab, als daß man an eine kaputte Gewaltbeziehung denken könnte - recht so :) Negative Reaktionen gab's eigentlich nicht, ein paar Scherzchen hier und da, alles ganz freundlich. Ich glaube, ein paar sind echt neidisch auf das Maß an Kommunikation und Entwicklung, was ich in meiner Beziehung habe und sie vielleicht nicht, aber so genau sagt das keiner.

Naja, ein paar Freunde meinen halt, es ist schon cool "seine Frau hart ranzunehmen, ordentlich durchzuficken und feste zuzupacken" und vergessen dabei die Symbolik von Bondage und Spanking sowie den enormen Vertrauenszuwachs in so einer Beziehung.

Durch den Kontakt mit der Subkultur bin ich offener geworden. Ich akzeptiere auch "Umwege", wenn z.B. jemand eine Art Doppelleben führt oder sich an seine Umgebung anpaßt. Früher empfand ich es immer sehr negativ, wenn jemand seine Aktivitäten auf die Subkultur beschränkt und nicht alles frei auslebt. Jetzt sehe ich es realistischer, es ist halt nicht jeder selbständig, ungebunden, etc ...

Meine erste Party: der KitKat-Club war so lala. Einerseits war ich schon stolz, überhaupt reingelassen worden zu sein. Ich fand Marits und meinen Lack richtig schick (ich hatte ihn vorher noch nie so recht getragen), und außerdem fand ich's klasse, mit Marit da zu sein, mit der ich noch nicht richtig zusammen war zu dem Zeitpunkt. Andererseits fand ich das Ambiente schlecht, die Musik und auch einige Leute waren nicht so super - rein vom ästhetischen Aspekt. Außerdem bin ich wenig exhibitionistisch - die Option, öffentlich Sex zu haben, hatte also wenig, Tanzen bot sich nicht an und die Getränke waren sauteuer. Aber nicht schlecht für den Einstieg :O)

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001