Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Interview mit Sascha

 

Irgendwas läuft immer in Berlin, obwohl gelegentlich, also speziellere SM-Veranstaltungen muß man dann schon suchen, wenn man wirklich nur auf Latexveranstaltungen will, muß man schon mal einen Monat warten. Wird aber viel als SM deklariert, wo aber eigentlich wenig SM drin ist. Es ist unglaublich viel Mogelpackung dabei, auch unter den Schwulen, die sich gerne mit ihren Taschentüchern in Schwarz-Weiß schmücken, rechts und links, wo dann wirklich nur so ein kleines Standardprogramm drin ist.

Beim schwulen Sex gibt es irgendwie keine Regeln. Und wenn jemand Lust hat, da mitzumachen, dann greift er wirklich einfach auch zu, zu dem Pärchen, das spielt. Und dem muß man dann meistens nicht nur einmal auf die Finger schlagen, sondern fünfzehn- oder zwanzigmal, bis der das begreift, daß man ihn nicht dabeihaben will. Oder man wird richtig laut und ausfallend, aber das stört dann in dem Moment derartig, daß man dann meistens völlig raus ist. Aber das ist einfach Usus. Aber es gibt an sich keine Regeln. Naja, offiziell gibt es diesen Verhaltenskodex eigentlich schon. Aber wirklich in Ehren halten den, glaube ich, die allerwenigsten. Offiziell heißt es halt auch, daß man sich nicht einmischt, nicht ungefragt, und vor allem nicht dazwischenfunkt, und daß man sich vorher vielleicht ein bißchen unterhält, was man machen will und was nicht, und nicht ohne die Grenzen vorher abzustecken oder irgendwelche Codewörter abzumachen, einfach loslegt. Mit einem Blick ist es aber meistens schon getan, und dann sucht man sich sein Örtchen und dann legt man los, ohne ein Wort zu sagen, man kennt noch nicht mal den Namen, so richtig anonym, und dann hat man sein Nümmerchen und dann schwirrt man wieder ab, ohne sich zu unterhalten, das kommt schon vor. Ich denk mal, da kann auch ganz viel schieflaufen.

Bei Schwulen ist es wirklich so: Wenn jemand seinen Spaß hat, mit was auch immer, muß man halt damit leben, daß sich da etliche Leute drumrumstellen und sich selbst befriedigen oder anfangen, mitmischen zu wollen. Und wenn dann drei Leute auf einmal anfangen, an deinem Mitspieler rumzuschrauben, dann hast du gar keine Chance, da überall draufzuhauen, das geht nicht. Da wär man wirklich nur am Fliegenverscheuchen. Das ist ein echtes Problem, und da sucht man sich dann lieber gleich ein Örtchen, wo man richtig allein ist, wo man die Tür abschließen kann. Oder man lebt damit.

Bei unsafen Praktiken ins Spiel anderer eingreifen, nie im Leben. Das würde keiner machen. Es sei denn, man hat einen HIV-Präventionsmitarbeiter, aber selbst die sind gehalten, die Privatsphäre zu achten. Die können zwar mit dem Kondom winken, aber das war's auch. Ich glaube, es müßte schon wirklich jemand ausdrücklich nach Hilfe schreien, und das bestimmt zehnmal, bevor irgendwas passiert. Ganz sicher sogar. Offizielles Safeword, davon hatte ich noch nie gehört, das war mir völlig neu und dabei kannten wir uns ja auch schon einige Zeit und haben auch die eine oder andere Veranstaltung besucht. Auch das mit der Ampel, grün, gelb, rot, hab ich auch noch nie von gehört. Fand ich eine Superidee, wenn einfach jemand sagt, gelb ... naja, da muß man bei den Schwulen ja aufpassen. Oder wenn du sagst, rot, und er fängt an, seine Gummihandschuhe anzuziehen. Ist eine tolle Idee, aber da hatte ich noch nie von gehört.

Bei den Schwulen ist das völlig ohne Regeln, das Spiel ist zu hundert Prozent deren Privatsache. Da würde einen auch nie jemand rausschmeißen, wenn man irgendwelche Regeln übertritt, ganz egal, wie du dich benimmst. Es gibt schon kleine Läden, die eine gewisse Hausordnung haben, wo es dann schon sein kann, daß du rausfliegst. Aber bei so großen Veranstaltungen bist du ja völlig anonym, und wenn ich da zum Türsteher gehen würde oder zum Barpersonal und sagen würde, der faßt mir da dauernd dazwischen, schmeißt mir den mal raus, die würden mich spanisch ankucken und mich auslachen. Man nimmt es einfach hin. Ist dann glaube ich auch wieder so eine Männersache: Du gehst auf so eine Hardcoreveranstaltung, dann mußt du auch zusehen, daß du dich durchsetzt. Dein Problem. Wenn du dem nicht gewachsen bist, dann geht da nicht hin.

Es gibt auch Alternativen, kleinere Veranstaltungen und Privatclubs, die sehen das mit ihrer Hausordnung sehr, sehr eng, und ich glaube, da kann man dann schon schnell rausfliegen. Man ist dort, um Spaß zu haben und sollte keine gefährlichen Situationen hochbeschwören. Wenn da jemand wirklich ein Codewort sagt und jemand von den Betreibern selber ist da, ich glaube, der würde da schon eingreifen. Die haben halt ihre Mitglieder und man kennt sich. Und wenn man da zweimal aufgetaucht ist, dann kennt man das Gesicht, das geht recht schnell. Die Szene ist halt auch klein. Wenn man sich da richtig danebenbenimmt, dann fliegt man schon raus. Da gilt halt zumindest schon mal in Anführungsstrichen "Keine Drogen", es werden ja Drogen liberal in rauhen Mengen konsumiert.

Für mich völlig unerklärlich, in der frühen Kindheit ist oft einfach der Gaul mit mir durchgegangen und ich habe Situationen forciert, die mir überhaupt nicht klar waren, von denen ich völlig fasziniert war, aber hinterher bin ich dann völlig erschrocken von dem, was da eigentlich vorgefallen ist. So ein Beispiel, was mir da einfällt: Als ich so neun oder zehn war, haben wir uns so eine Hütte gebaut, mehrere Jungs zusammen, und da hab ich dann irgendwie diese vier Mann dazu gekriegt, einem eigentlich relativ guten Freund von mir die Hose auszuziehen und da echt schon fast Kastrationsspielchen zu forcieren. Und mich hat das hinterher total erschreckt, echt völlig erschreckt, auch wochenlang noch, daß ich das Ganze so forciert hatte, daß ich das so gesteuert hatte. Und das hatte ich ein paarmal noch, solche Anfälle. Wobei ich eigentlich den meisten Teil meiner Kindheit auffällig behütet aufgewachsen bin, und auch irgendwie diese Heile-Welt-Erziehung gekriegt habe.

Damals hatte ich eher aktive Phantasien. Diese Spielchen haben mich ja auch total erregt. Das hat mich eigentlich so erschreckt. Ich hatte ja nicht nur diese Phantasien, sondern ich hab die ja teilweise auch - jetzt nicht mal bewußt, sondern auch unbewußt - realisiert. Das war ganz eindeutig ein sexueller Kontext. Und vorher fand ich es schon total klasse, Jungs zu irgendwelchen sex-ähnlichen Spielchen zu motivieren oder anzustacheln. Ich hatte auch so Vergewaltigungsphantasien, aktive, in denen es um Männer ging. Also mir war damals schon klar, daß Homosexualität in meinem Elternhaus kein schlimmes Thema war, und als ich dann auch so mit dreizehn oder so das erste Mal verliebt war, und dann auch noch glücklich verliebt, war für mich von dem Tag an klar, daß ich eindeutig schwul bin. Da gabs gar keine Probleme. Meine Eltern haben das später erst erfahren. Meine Mutter hat dann gesagt, ja gut, das hab ich mir eigentlich schon immer gedacht. Mein Vater hat bis heute Schwierigkeiten damit, aber den seh ich seit acht Jahren oder so nicht mehr.

Ich glaub, bei mir trifft so ziemlich jedes Klischee zu. Das mit der schweren Geburt hab ich erst kürzlich erfahren, daß ich eine richtig schwere Geburt war, ich hab meiner Mutter fast das Leben gekostet, wußt ich bis dahin gar nicht wirklich. Konnt ich mich aber auch gar nicht wirklich dran erinnern, das war mir völlig neu. Ich wurde von meiner Mutter dann später heftigst geschlagen, also die hat richtige Aussetzer gekriegt. Das fing an, als ich etwa dreizehn war. Ich denke, da hab ich heute noch irgendwie eine Faszination für, wenn ich mich ganz ehrlich frag, warum die Faszination, dann denk ich mal, es ist schon irgendwie so, meine Mutter ist eigentlich ziemlich kalt. Ich glaube, das war auch so eine Art, Aufmerksamkeit zu erregen oder Zuneigung zu bekommen auf eine gewisse Art. Das billigste Klischee eigentlich. Ich glaube, das trifft bei mir eigentlich zu. Es erregt mich heute noch total, wenn ich ins Gesicht geschlagen werde. Viel später gab es dann heftigste sexuelle Übergriffe von einem Ballettlehrer von mir, das ging auch zwei Jahre lang. Dann ein gestörtes Vaterverhältnis - ich glaube, ich könnte einem Psychologen jedes Klischee auftischen, das es überhaupt gibt.

Mein Interesse für SM hat mich immer erschreckt, das hat mich teilweise echt richtig gelähmt. Wenn ich die Gedanken wirklich zugelassen habe oder mir bewußt wurde, was ich da für Gedankengänge hatte oder was da für Handlungen vorgefallen sind, war das echt immer völlig schockierend. Weil ich von meiner Mutter halt auch dieses Bild übergestülpt gekriegt hatte, dieses nette, sorglose Kind, was ich eigentlich denn alles in allem auch bin. Aber es gibt dann halt auch diese Schattenseite, und die hab ich dann eigentlich immer völlig ausgeblendet. So nach den sexuellen Übergriffen dann sowieso völlig verdrängt, aber sie sind halt immer wieder durchgebrochen. Ich hab das lange einfach echt verdrängt. Bis ungefähr vor drei, vier Jahren - naja, vorher hab ich dann angefangen, damit zu spielen, also auch unter nicht wenig Drogeneinfluß diese Gedankengänge dann zulassen zu können. Oder dann auch öfters mal, was weiß ich, mir zu solchen Phantasien einen runtergeholt, das war vorher auch nicht gegangen. Und dann hab ich angefangen, unter Drogeneinwirkung das dann auch zu leben, aber auch so, naja, würde man heute sagen, etwas härteren Blümchensex. Bis vor vier Jahren in etwa. Da kam ich dann der SM-Szene näher und das Ganze wurde für mich greifbar. Es war nicht mehr so, ogott, ich bin der einzige auf der Welt, der so verkommen ist, es gibt noch andere. Es gibt auch Ventile für solche Bedürfnisse. Und da hab ich mich dann hier und da drauf eingelassen. Aber auch wirklich nur bei Leuten, die kannte ich dann vielleicht nur einen Tag lang oder so, aber die fand ich spannend und vertrauenswürdig. Da konnte ich mich dann, wo ich selber immer total erschrocken bin, völlig fallenlassen, aber als Bottom. Eigentlich immer als Bottom. Da mußte ich keine Verantwortung übernehmen, das spielt dann schon eine Rolle.

Ich war auch schon öfters Top, also so mit Gummisklaven und so, aber immer sehr zaghaft, weil es mir sehr schwer fällt, über meinen eigenen Schatten zu springen. Bei mir mischen dann wieder so frühere Erlebnisse mit und ich glaub, unbewußt krieg ich dann auch so ein Gefühl, daß ich jetzt gerade frühere Erlebnisse jemand anderem antu. Und da bricht das Ganze dann meistens bei mir ein, da krieg ich dann Schwierigkeiten.

Ich denk, prinzipiell ist SM einfach eine weiter ausgebaute Sexualität. Ich denk, es gibt einfach Leute, die verbieten es sich, sich wirklich fallenzulassen und Dinge zuzulassen. Ob das jetzt SM ist oder Fisten oder jegliche andere Sexualität als der pure Geschlechtsakt ... wenn man das weiter ausbaut, ergibt sich SM rein automatisch. Ich denke, es ist immer ein Sich-Hingeben, Führenlassen, Dominieren. Vielleicht ist es auch einfach ein Gesamtbild, was man vom Leben hat, von dem was man haben will vom Leben.

Gelesen hab ich dazu nichts. Das Internet fand ich zwar für mich kurzfristig schon aufklärend, das Gefühl, da sind noch andere, ich selber bin nicht unbedingt so abnorm, es gibt noch genügend andere "Abnorme". Aber ich fand es halt immer viel spannender, selber Leute zu befragen oder mit Leuten in Kontakt zu kommen, die selber SM betreiben, was ja bei den Schwulen doch schon eher möglich ist. Übers Internet zum Beispiel, oder du kannst dich auch mit Leuten treffen und einfach nur unterhalten, Bekannte von Bekannten, die einfach solche Neigungen haben und vor allem auch leben, die dann auch kennenzulernen und selber dumm zu fragen und sie erzählen zu lassen. Oder du gehst in eine entsprechende Schwulenbar, wobei ich da immer das Problem hatte, daß da dann irgendwie immer lauter Sprücheklopper waren. Du hast die Leute da nie privat interviewen können - in einer Bar heißt es immer boah, ja, klar, Mensch, hey. Ging mir oft so. Und wenn du andere Leute privat kennenlernst, manchmal kriegt man einfach so eine Psychokrise als Bottom, oder auch mit so negativen Seiten. Also früher war das ganz schlimm, die ersten Ledertrinen, die ich kennengelernt hab, fand ich total widerwärtig und ich hab mir geschworen, so werd ich nie werden, nie. Weil es mir total Schwierigkeiten bereitet hat, daß jemand sein ganzes Leben unter dieses Thema gestellt hat. Du kommst in die Wohnung und da hängen schon die Tarnnetze und da liegt die Peitsche auf dem Küchentisch. Das war mir alles viel zu eng, zu beschränkt, ich hatte da immer das Gefühl, denen geht so viel anderes flöten. Wobei ich denke, damals war das Ganze für mich auch nicht wirklich zu überschauen. Jetzt sehe ich das in einem anderen Licht. Trotzdem habe ich immer noch das Gefühl, daß schwulen Ledertrinen, die in ihrer Lederhöhle wohnen, immer noch ziemlich viel verlorengeht. Die machen auf mich meistens auch einen sehr eingeengten Eindruck. Für eine Ledertrine wär es zum Beispiel total uncool, im Sommer im Park picknicken zu gehen. Das ist schon eher die ältere Generation. Oder die Leute, die Hardcore-SM-Sex mit Drogen kombinieren ... die nehmen das auch ins Leben mit rüber, die treffen sich nur noch über AOL mit Leuten, da gibts wirklich nur noch Sex als erste Präferenz, die ganze Woche über.

Ich hab ja dann ein Jahr lang bei meiner Mutter gewohnt, ich mach da keinen Hehl mehr draus. Wenn ich jetzt völlig aufgekratzt von so einem Event wiederkomme, das erste Mal war ich mit so einem Bekannten in Eindhoven, und da war so eine einnächtige Fist-SM-Veranstaltung, und das war für mich also wirklich so ... wow! ... ein Erlebnis, das mich völlig umgehauen hat, und ich kam da zurück und war eh schon fast am Platzen, hab mir ständig auf die Zunge gebissen bei jeder Bemerkung meiner Mutter. Und dann hat sie mich gefragt: Sag mal, was treibst du denn da eigentlich, wenn du da so wegfährst? Ich hab gesagt, ich glaub, du willst das gar nicht wirklich wissen. - Doch, ich wills eigentlich schon wissen. Da hab ich gemeint, ja, dann setz dich jetzt hier hin. Und dann hab ich das so frei ausgepackt, nicht ohne eine gewisse Faszination an der Mimik meiner Mutter. Sie hat dann etwas geschluckt, findet das dann aber auch letztendlich eher spannend, was da passiert.

Wo ich arbeite, sind auch so fünfzig, sechzig Prozent Schwestern und der Rest sind Heten. Ich mach da auch keinen Hehl draus, weils mir halt einfach regelmäßig so geht, daß ich mit irgendwelchen Erlebnissen so vollgepfropft bin und die dann einfach auch mitteilen möchte. Mein Chef weigert sich heute noch, meine Tasche zu kontrollieren nach Feierabend, weil er mal die bittere Erfahrung gemacht hat, daß meine Tasche ausgerechnet an dem Tag - wir wollten anschließend ausgehen, und da hatte ich meine Gasmaske, Handfesseln, Seile, alles da drin. Und er wirft einen Blick in die Tasche und sagt: "Was ist das!" Und dann hab ich ihm halt bereitwillig Auskunft darüber gegeben. Und du mußt dir halt vorstellen, mein Chef ist klein, pummelig, trägt immer ganz kleinkarierte Anzüge und so eine Hornbrille und ist ziemlich konservativ. Seitdem kontrolliert er meine Tasche nicht mehr.

Achim und ich sind mal nach Stuttgart gefahren und da in eine Polizeikontrolle gekommen. Stuttgart war hermetisch abgeriegelt und alle wurden nach Drogen kontrolliert. Achim war schon vordatiert, da haben sie uns sofort rausgezogen. Wir hatten den ganzen Kofferraum voll mit Spielzeug. Achim ist Fister und der hat halt wirklich SOLCHE Dildos in seiner Tasche, also wirklich ordentlich fette Dildos. Wir mußten alle Taschen auspacken, und der Kollege aus Stuttgart sagte: Machen Sie mal den Kofferraum auf, so ein Daddy, Bauch, Schnurrbart, bestimmt so um die 40, 45, macht die Tasche auf und bleibt halt wirklich mit völlig entgleistem Gesicht versteinert stehen und kuckt Achim und mich einfach nur an. Ringt sich dann ein "Ja, wenns Spaß macht" ab - seine Kollegen alle schon so gekuckt - und Achim und ich einstimmig: Ja! Daraufhin haben sie uns auch ziemlich schnell fahren lassen.

Das erste Mal, daß ich bei so einer Privatparty war, in einem Privatclub, und es waren nur geladene Gäste da, und du brauchst halt wie immer mindestens zwei Leumünder, das ist bei Privatparties durchaus gang und gäbe. Um Schaulustige auszufiltern und dem Ganzen wirklich einen kleinen, privaten Charakter zu geben, damit auch wirklich was passiert. Und das war halt im großen Stil aufgezogen. Die hatten dann oben diese Schlafräume, so stell ichs mir beim Militär vor, also Stockbetten aus Metall, da konntest du dann übernachten, und unten wirklich große Räume mit Slings, allem möglichen Foltermaterial, was halt so üblich ist. Und das war wirklich eine gelungene Veranstaltung, also, was mich immer so ein bißchen genervt hat, ist dieses Dazwischenfassen und das Superöffentliche, daß immer die gelangweilten Trinen, die schon seit zehn Jahren in den "Knast" gehen und da immer ihre doofen Kommentare zu den Leuten abgeben müssen, die jetzt wirklich mal Spaß haben. Und das war da gar nicht, also das war das erste Mal, daß ich so eine Party mitgekriegt hab, wo wirklich viel passiert ist, wo auch tierisch extreme Sachen passiert sind, wo dann fünf oder sechs Jungs sich einen einzigen vorgenommen haben, und zwar mit ziemlich extremen Methoden. Das hat mich alles ein bißchen schockiert und unglaublich fasziniert. Die ganze Szenerie überhaupt, das war das erste Mal, daß ich auch so extreme Outfits gesehen hab, jetzt nicht schicke Outfits, sondern einfach extreme, also so wie zum Beispiel der neulich im Lab: nackt, tätowiert, nur Stiefel und diese durchsichtige Latexschürze. Auch so mit diesen verschiedenen Stilen, von Bauarbeitern ... wo männliche Klischees ausgelebt wurden, also nicht schick, sondern wirklich alltäglich. Das hat mich völlig außer Rand und Band gebracht.

Wenn man prinzipiell nicht will, daß was passiert, wird auch wahrscheinlich nichts passieren. Es wird dich keiner anfassen, wenn du sagst, nee. Aber du wirst halt schnell in die Rolle des schüchternen, kleinen Zuschauers gedrängt, und das kann auch ganz unangenehme Varianten annehmen. Da ist man dann vorerst mal geheilt von solchen Veranstaltungen, was ich echt schade finde. Wenn man will, daß was passiert, ist das durchaus möglich. Ich würde das auch Neulingen schon empfehlen. Wenn man sich vorstellen kann, daß das Ambiente einem zusagt - die homosexuelle SM-Szene tendiert, glaube ich, eher so zum Schmuddel, also zum modrigen Keller in Gummistiefeln, es darf schon ruhig siffig sein. Wenn einem das gefallen kann, sollte man zu zweit, zu dritt oder zu viert hingehen, wenn man das erste Mal da hingeht. Dann hat man ein bißchen Rückhalt. Und wenn man den ganzen Abend nur kuckt. Es wird meistens genug geboten. Allein würd ich nicht unbedingt gehen ... obwohl, man kann sich dann an den Tresen setzen und die Barkeeper sind meist dankbare Vermittler, die kuppeln immer ganz gerne, und meistens gut. Die kennen ja auch wirklich Leute, die wissen dann sofort, komm mal her, soll ich den mal ansprechen. Dann nimmt das auch seinen Weg, dann lernst du jemanden kennen, das ist zwar nicht dein Traumtyp, aber du kriegst halt Erfahrung. Wenn mans wirklich drauf anlegt, hat man immer die Chance. Wenn man Glück hat, trifft man so auch jemanden, der einem sympathisch ist.

Was dann noch ein schwieriger Punkt ist, ist, daß du dich ja, wenn du guten SM haben willst, in gewisser Weise outen mußt mit deinen Vorlieben. Und ich glaub, das ist für manche, vor allem vom älteren Semester, in der schwulen Szene relativ schwierig. Die Szene ist doch relativ klein - das wirkt nur immer so massig - und es wird halt viel getratscht. Und ich glaub, da tun sich viele schwer, naja, als die Mega-Dose dazustehen, wenn du halt wirklich nur Passivfister bist. Viele tragen das als Titel, jetzt unsere Generation, bißchen älter, da ist das so: Ja, ich bin Gigadose, punkt, da ist das gar kein Problem. Aber für viele Ältere ist das, glaub ich, schwierig. Ich denk, so ein Stricher, da kannst du einfach hingehen, sagen, was du haben willst, und du bekommst es. Das ist in der Szene dann schon ein bißchen schwieriger.

Es gibt Leute, diese Bandbreite von Leuten, die meistens sowieso wenig mit wirklich SM zu tun haben, die dich aber dann als ... die blöde Spielchen mit dir einfach treiben. Wie im Snax, da fällt mir ein Gummihandschuh runter, und ich hatte halt das Halsband um, und da kriegst du halt den dummen Spruch, ernstgemeint, nicht im Scherz: Heb auf, Sklave! Und ditscht mir halt so eine. Den Ruf hast du dann einfach weg. Den kriegst du relativ schnell aufgedrückt. Und ich tu mich ein bißchen schwer, in der homosexuellen Öffentlichkeit Bottom-Handlungen vorzunehmen, weil den Ruf, den hast du dann schon weg. Und daß die jetzt drüber scherzen, find ich nicht so wild, aber es gibt halt viele Leute, die dich dann als Menschen zweiter Klasse behandeln, die das mit dem Respekt einfach mit rübernehmen. Die sehen dich dann als Kleinen, ohne Selbstbewußtsein, der wirklich nur durchs Leben kriecht. Und die gehen dann auch so mit dir um.

Bei den Schwulen sind die Präferenzen schon eher klar abgesteckt. Ich find es interessant, wenn jemand mehrere Seiten hat, aber ich hab das Gefühl, die wenigsten leben das wirklich. Die meisten haben echte Probleme damit, das zuzugeben, weil sie irgendwelchen alten Klischees und Vorstellungen aufsitzen, weil das einfach nicht so sein sollte. Das ist ein bißchen wie mit der Bisexualität, nach dem Motto, man weiß nicht, was man will und man ist dann deswegen auch nicht richtig glaubhaft. Und das, was man da macht, sind auch nur halbe Sachen, und das ist nicht richtig ernstzunehmen, weil du beides haben willst. Was ein echter Kerl ist, der ist halt S und das auch nur zu hundert Prozent. Oder du bist halt eindeutig der Bottom.

Es wird eigentlich von Sklaven und Meistern gesprochen, es gibt auch S und M, das ist wohl das Gängigste, Top und Bottom hört man eher selten. Wobei Meister auch nicht wirklich mit Rollenverhalten gekoppelt ist ... ich glaube, damit ist meistens einfach Top gemeint. Das Verhältnis ist ziemlich ausgewogen. Es gibt Veranstaltungen, da hat man mehr Masos als Meister oder was auch immer, und es gibt Veranstaltungen, da ist es genau andersrum.

In der Schwulenszene ist man meistens bemüht, jede Stilblüte noch irgendwie zu protegieren, die gehören mit dazu. Ist ja auch ein Markenzeichen, daß die Schwulenszene unglaublich blütenreich ist ... naja, politisch. In der Realität, wenn man dann ausgeht und sowas sehen würde, wärs ein Skandal! Schmeißt die Leute hier raus, das ist uncool!

Schwer Vermittelbare gibts immer, aber die kann man eigentlich relativ gut umgehen, indem man die Läden nach der Musik auswählt. Ich glaub aber, es gibt bei den schwulen SMlern insgesamt ein bißchen weniger UFOs [ugly, fat & old] als bei den Heten.

SM und Skinheads, das finden wir unglaublich spannend. Ich würd gern mal wissen, obs da überhaupt irgendwie ein Äquivalent gibt bei den Heterosexuellen. Wir haben beide ein Skinhead-Outfit, möglichst originalgetreu mit hochgeschnürten weißen Schnürsenkeln und Stiefeln.  Wir finden es superklasse, das als Fetisch anzuziehen und dann auch eine echte SM-Rolle draus zu machen, so mit Treten und so. Ist ein reiner Fetisch, keine politische Überzeugung. Das ist in der Schwulenszene relativ verbreitet. Ich weiß gar nicht, woher das kommt. Entweder ist es das Leben eines Feindbildes, oder es ist einfach die Männerrolle schlechthin. Maskuline Macker.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001