Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Interview mit Rainer

 

SM-Phantasien hatte ich schon als Kind. Ich hatte auch so meine Spielzeugpuppen, da war auch eine männliche dabei, und mit der hab ich mir da auch schon so diverse Fesselspiele überlegt, da war ich so sieben, acht. Das fand ich schon damals unglaublich spannend. Und das zog sich dann auch so durch die Pubertät mit den SM-Phantasien. Ich bin absolut gewaltfrei erzogen worden, ich bin nie geschlagen worden, in meinem ganzen Leben nicht. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, bin superbehütet aufgewachsen, vielleicht war mein Elternhaus ein bißchen verschroben. Ich wußte, daß das mit den Fesselspielen nicht ok ist, das durfte ja auch sonst keiner wissen, das war so mein privates Ding, aber Gedanken hab ich mir darüber nicht gemacht. Das war halt so.

Mir war schon klar, daß einige Sachen nicht ok sind, so mit Gewalt, weil ich ja so auch überhaupt nicht aufgewachsen bin, das paßte gar nicht ins Bild. Und das war auch wirklich was ganz Eigenes, das hab ich auch mit sonst niemandem geteilt. Das ging auch gar nicht. Also das war wirklich nur meins, und da hab ich mich auch wohlgefühlt. Peinlich war mir das nicht, weil nur ich davon gewußt hab, aber erzählt hätt ich das nie. Weil das nicht die Werte und Normen waren, die mir meine Eltern beigebogen haben und das einfach nicht in meine Familie gepaßt hat. Also soweit war das Verständnis schon klar, daß das nicht in mein Familienleben gehört und daß das immer meins sein wird.

Ende 92 hab ich dann meinen ersten Freund kennengelernt. Ab da hab ich dann schon gemerkt, aha, ich würde sowas schon auch gern mal ausprobieren, aber das hat ganz lange gedauert, bis ich den Mut hatte, das von innen nach außen zu transportieren. Das hat dann echt lange gedauert. Vorher fand ich das immer spannend, aber so richtig rangekommen bin ich da nie. Ich hab mich nicht getraut, weil das Thema ja mit unheimlich vielen Vorurteilen behaftet ist, auch in der schwulen Gesellschaft, da wird man dann gleich in so eine gewalttätige Schublade und in so eine abnorme Kiste gesteckt, auch bei den Schwulen. Das heisst, ich hab das befürchtet - so begegnet ist mir das eigentlich nicht. Mittlerweile würde mir das auch nichts mehr ausmachen. Ich lebe nicht, um anderen zu gefallen.

Das schwule Coming-Out hilft bestimmt, als Erfahrung, aber sich Interesse an SM einzugestehen, das ist nochmal ganz was anderes als sich einzugestehen, daß man schwul ist. Damit hatte ich wirklich gar keine Probleme: ich hatte den ersten Sex mit einem Mann und dann war mir klar, ok, dann bleibst du halt dabei. Das ging wirklich über Nacht. Damit hatte ich keine Probleme und da hab ich mir auch keine Gedanken drüber gemacht. Aber SM ... die Entwicklung, die hat richtig lange gedauert. Dafür hab ich Jahre gebraucht. Ich denke mal, das lag an Vorurteilen und Angst - nicht zu wissen, wie man das in seine Persönlichkeit einbauen soll. Schwer zu sagen. Die Vorurteile kriegt man, glaube ich, anerzogen ... und aus Gesprächen mit anderen, die auch ihre Vorurteile haben, kriegt man so seine Schublade, sein Klischee, und es ist unheimlich schwer, sich davon zu lösen. Da werden halt so Bemerkungen und Witze gemacht, diskriminierende Sachen, um sowas für sich abzuschwächen, um es von sich zu weisen. Man kennt das, aber man möchte nicht, daß jemand auf die Idee kommt, daß man was damit zu tun hat. Das ist in der Schwulenszene genauso. Ich war zwar immer bemüht, tolerant und offen zu sein, aber das für mich anzunehmen, das hat ganz lange gedauert. Weil auch durch die Medien SM immer was mit einer perversen, krankhaften Sexualität zu tun hat. Das Bild kriegt man einfach mit. Das, was man aus einer heterosexuellen Erziehung genossen hat zu dem Thema, das prägt, glaube ich, weitaus mehr als das, was man irgendwann mal so mitkriegt. Wenn man das dann mal ablegt, dann kann man sich auch verändern, aber das dauert, das zu begreifen. Dem kann man sich, glaube ich, nur ganz langsam nähern. Wenn man dann erst mal Fuß gefaßt hat, dann geht alles recht schnell. Aber bis dahin, das dauert schon ganz schön.

Meinen Eltern würde ich das nicht erzählen. Es reicht, daß sie wissen, daß ich schwul bin. Wenn sie danach fragen, werd ichs ihnen auch sagen, aber solange niemand fragt, werd ich es nicht vor mir hertragen. Mach ich mit meiner Homosexualität ja auch nicht. Vor Mitarbeitern oder so würde mir das entschieden leichter fallen als vor meinen Eltern. Ich hab mit meinem schwulen Coming-Out ziemlich schlechte Erfahrungen gemacht bei meinen Eltern und das muß ich nicht nochmal haben. Das war hart genug, und meine Mutter ist jetzt nach sieben, acht Jahren endlich dabei, sich mir ein bißchen mehr zu öffnen, ein bißchen mehr Beziehung aufzubauen. Der Haussegen hing bis dato immer schief.

Es macht mich ausgeglichener, weil man als Student eigentlich nie in einer aggressiven Position ist, man steht eigentlich immer auf der anderen Seite. Und ich habe jetzt endlich mal die Möglichkeit, auch mal eine andere Rolle zu leben und ich merke schon, daß es mir ziemlich gut bekommt, auch mal austeilen zu dürfen. Ich kann jetzt auch entschieden mehr einstecken von außen, das berührt mich nicht so sehr wie vorher. Vorher hatte ich da kein Ventil für. Wenn man gewaltfrei erzogen worden ist und nie gelernt hat, mit Aggressionen umzugehen, wenn man die nirgends hinpacken kann, dann ist das eine ganz fürchterliche Sache. Ich hab darunter echt gelitten, das macht richtig krank. Und wenn man so einen Weg findet, ist das sehr entspannend. Aggression und Aggression ist allerdings nicht das gleiche. Also diese Aggressionen sind dann wirklich gezielt und gerichtet und funktionieren am besten mit einem festen Partner, da geht das am besten. Wenn ich wirklich schlechte Laune habe und merke, ich bin innerlich aufgewühlt aggressiv, dann geht das gar nicht. Dann bin ich viel zu sehr mit mir selber beschäftigt, als daß ich mich dann auf ihn konzentrieren könnte. Das kriege ich nicht hin, da bin ich dann auch nicht in Stimmung. Frust rauslassen, rausprügeln, das geht nicht. Da ist schon ein Unterschied.

Ich wollte das immer mal ausprobieren, stand aber völlig überfordert da, weil ich natürlich auch nirgends eine Einführung gekriegt hab, wie man das überhaupt macht, wie man damit umgeht, Literatur stand mir auch nicht so richtig zur Verfügung, eigentlich gar nichts außer vielleicht die eine oder andere Kleinanzeige, wo irgendwelche Praktiken angeboten oder abgefragt wurden, wo man dann seine Phantasie spielen lassen konnte. Die schwule Literatur, die es dazu gibt, hab ich mich nicht zu kaufen getraut, das war so negativ besetzt.

Meine Vorurteile beschränkten sich auf irgendwelche Dominaklischees von Prostituierten, viel mehr konnte ich mir unter SM früher nicht vorstellen. Das war eine Ecke, die mir überhaupt nicht zugänglich war, die wohl irgendwie spannend war, weil sie verboten war, Rotlichtmilieu und so. Überhaupt da irgendeinen Hintergrund zu finden, warum die Leute sowas machen, was die dabei fühlen, da konnte ich mir überhaupt nichts drunter vorstellen. Das war mir überhaupt nicht zugänglich. Später dann, in der Schwulenszene, hatte mein Umfeld auch überhaupt keine positive Einstellung dazu. Das geht mir bis heute so - wenn ich meine alten Freunde besuche, wenn man da sagt, daß man SM toll findet, Leder, Latex, Leute schlagen und diese und jene Praktik, da können die wirklich nichts damit anfangen. Die wissen nicht, wo sie dich hinstecken sollen, weil die eigentlich wissen, das ist ein ganz netter Kerl, aber das ist irgendwie ein dunkles Terrain, das gefährlich ist, das man einfach nicht betritt. Es gibt halt diese sozialen Rollen für Homosexuelle, man ist schick, man hat Geschmack, das sind homosexuelle Attribute. Aber SM ist nicht in, es ist nicht schick, es ist einfach nicht en vogue in der Schwulenbewegung. Es ist halt einfach eine Minderheit in der Schwulenbewegung, und genauso wird sie auch behandelt. In Großstädten mag das noch ein bißchen anders sein, aber ein Großteil der Schwulen ist halt auch eher bürgerlich ... Ich glaube, das ist bei den Homos genauso wie in der heterosexuellen Welt, nur in rosa. Als Minderheit ist man nur eher gezwungen, sich zu organisieren, wenn man sich mal entschlossen hat, so zu leben.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001