Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Immer raus, was keine Miete zahlt

Outing vor anderen
(Ungekürzte Leseprobe)

 

 

"Wenn ich einer Untergrundkultgemeinschaft beitrete, erwarte ich Unterstützung von meiner Familie!"
Homer Simpson

Wenn man endlich so weit ist, sich selbst einzugestehen, dass man SMler ist, und sich damit angefreundet hat, kommt bei vielen irgendwann der Zeitpunkt, wo sie diese Veränderung nicht mehr verheimlichen wollen. Die Euphorie ob erster, erfreulicher Erfahrungen kann mitteilungsbedürftig machen, vielleicht hat man das Gefühl, man verheimlicht einen essentiellen Teil der eigenen Persönlichkeit, vielleicht hat man aber auch einfach nur genug davon, den Spielzeugkoffer immer auf den Schlafzimmerschrank zu hieven. Es gibt eine Vielzahl von Motiven, sich für oder gegen ein Outing zu entscheiden, und jeder gewichtet beim Abwägen anders. Häufige und gute Gründe für ein Outing sind beispielsweise:

 

Keine Lust mehr zum Lügen

Man möchte nicht länger einen Teil des eigenen Lebens, der einem wichtig ist, vor den Freunden verheimlichen. Die Aura der Heimlichkeit verträgt sich nicht damit, wie selbstverständlich und natürlich SM sich für einen selbst anfühlt - man tut ja nichts Schlimmes. Und die meisten haben einfach irgendwann keine Lust mehr, sich auf alltägliche Fragen wie "Wo warst du denn gestern Abend?" oder "Woher kennt ihr beide euch eigentlich?" Lügen auszudenken und sich auch noch zu merken, wem man wann welche Geschichte erzählt hat.

"Ich finde es schon lange nicht mehr schön, so heimlich unterwegs zu sein. Ich fühle mich dadurch eingeschränkt, wenn ich nicht mal ein einschlägiges lockeres Scherzchen machen kann, wenn mir danach ist und es gerade so gut passen würde. Es ärgert mich, dass ich den meisten Leuten bloß vage, ausweichende Antworten geben kann, wenn sie mich fragen, was ich denn so in meinem Stammlokal mache. Okay, ich finde es manchmal ganz witzig, schulterzuckend zu antworten: 'Nix besonderes - rumhängen halt ...' Aber das ist eher Galgenhumor. Und dann darf ich nicht mal wirklich drüber lachen! Ich finde es eigentlich schon längst nicht mehr lustig, auf die Frage, auf was für ein Fest wir denn gehen, drumherumreden zu müssen und dann irgend etwas über 'so eine Art Kostümfest' zu murmeln.
Außerdem bin ich ein Mensch, der alleine schon deswegen nicht lügt, weil er sich erstens die Geschichten nicht merken will, die er verzapft und zweitens die Erfahrung gemacht hat, dass alles viel schlimmer ist, wenn eine Lüge im Nachhinein auffliegt. Wenn das alles durch Zufall mal rauskommt, zerbricht da bestimmt einiges, das im Nachhinein nicht mehr zu reparieren ist - wenn ich es meiner Familie, meinen Freunden auf meine Art erzählen, näherbringen kann, dann hoffe ich, dass der Schaden nicht so groß ist, weil sie eher die Chance haben, mich zu verstehen ... Klar könnte man jetzt eine prinzipielle Diskussion zum Thema "Outing - ist das denn überhaupt nötig? Wen geht das was an?" starten. Vorweg: Nein, ich habe vorher auch nicht Gott und die Welt mit Informationen über meine Lieblingsstellung im Bett beglückt. Aber das alles hat für mich nicht nur einfach mit Sex zu tun, das hat weitreichende, grundlegende Änderungen in meinem Leben, in meiner Lebenseinstellung, in meinem Selbstverständnis bewirkt. Und es geht mir genau deswegen so gut wie nie zuvor!"
Andrea

"Vor meinen Eltern, meinen Geschwistern und meinen Freunden habe ich mich auch geoutet, und zwar weil ich mein neues Erleben mit ihnen teilen wollte, meine Veränderung mitteilen wollte. Teilweise auch, weil ich mir keine Lügen über Aufenthaltsorte (sonntagnachmittags zum Treffen, wenn die besorgte Mami anrief und wissen wollte, was ich mache) und hohe Ausgaben für Lackklamotten (und natürlich auch, damit ich die Klamotten zeigen konnte) ausdenken müssen wollte."
Marit

 

Flucht nach vorn

Man möchte selbst Kontrolle über die nach außen gelangenden Informationen über das eigene Privatleben haben und nicht Gefahr laufen, irgendwann zufällig "entlarvt" zu werden, weil dann eher absurde Gerüchte darüber entstehen, was man tut. Auch was die berufliche Laufbahn angeht, ist man weniger angreifbar, wenn die Karten auf dem Tisch liegen. Fast jeder SMler kann Geschichten von unfreiwilligen Outings durch fehlgegangene Mails, herumliegendes Spielzeug oder geschwätzige Bekannte erzählen - so etwas geht viel schneller, als man denkt. Und wenn die lieben Mitmenschen erst mal gemerkt haben, dass man die Sache eigentlich geheimhalten wollte, kann man ihnen nur noch schwer klarmachen, dass man gar nichts zu verbergen hat.

"Da ich relativ offen mit der Sache umgehe (nur meine Familie weiß nichts davon), wissen Kollegen und Kommilitonen Bescheid. Ich versuche dadurch eventuell auftauchenden Gerüchten oder Witzchen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Trotzdem habe ich den Eindruck, daß einige Leute, vor allem Arbeitskollegen, denken, ich oute mich nur, um mich interessant zu machen. Sie äußern sich doch ab und zu ungläubig und meinen, sie könnten sich das bei mir gar nicht vorstellen, ich sei doch so 'normal'. Jedesmal bestätige ich aufs Neue, daß ich wirklich 'pervers' wäre und versuche manchmal die Vorurteile beiseite zu schaffen: 'es muss kein Blut fließen' oder 'da wird nicht so aufs Geratewohl drauflosgeprügelt'. Bei Freunden habe ich die positive Erfahrung gemacht, eine Lawine losgetreten zu haben. Plötzlich kam nämlich heraus, daß drei von vier eng mit mir befreundeten Paaren zu Hause BDSM oder zumindest leicht ins Fetischistische gehende Spielchen veranstalten. Das war eine lustige und befreiende Feststellung. Allerdings sind Partybesuche für diese Leute kein Thema. Einige sind in Jobs mit Kundenkontakt oder in gehobenen Stellungen und haben Angst, erkannt zu werden."
Oliver

 

Für die gute Sache

Man möchte ganz allgemein zeigen, dass SMler nicht immer nur die anderen sind. Ein Großteil der Vorurteile gegenüber Sadomasochisten rührt daher, dass einfach niemand welche kennt oder weiß, dass er welche kennt. Daran wird sich nichts ändern, wenn nicht wenigstens diejenigen, die es sich leisten können, auch offen zu ihren Vorlieben stehen.

"Ich hatte selbst jahrelang gehofft, zufällig jemandem zu begegnen, für den SM normal und selbstverständlich ist, aber das war natürlich nicht passiert. Als ich dann schließlich - über drei Ecken - wenigstens hörte, dass eine Freundin so jemanden kannte, gab das schließlich den Anstoß für mein eigenes Coming-Out. Seitdem erzähle ich lieber zehnmal zu oft als einmal zu selten, was mir Spaß macht, weil ich mir denke: man weiß nie, wer beim Zuhören womöglich gerade sehr, sehr große Ohren kriegt."
Gisa

 

Weniger gute Gründe für ein Outing sind:

  • Man fühlt sich so gut, endlich soweit zu sein, dass man es von allen Dächern der Stadt rufen möchte
  • Man möchte, dass irgendjemand (Eltern, Bruder, beste Freundin) seinen Segen dazu gibt
  • Man wird von anderen gedrängt, fühlt sich aber selbst (noch) nicht zu diesem Schritt bereit
  • Man glaubt, dadurch interessanter zu werden

Beim Outing sollte man auf alles gefasst sein - Eltern, Freunde oder Geschwister können unter Umständen sehr emotional reagieren, und dann reicht die Spanne von besorgt ("das ist doch gefährlich") oder vorübergehend beleidigt ("wie konntest du das so lange vor mir verheimlichen?") über verzweifelt ("wir zahlen dir die Therapie, egal was es kostet") bis hin zu angeekelt ("Du bist nicht länger mein Sohn"). Es kann einem etwas die Nervosität nehmen, wenn man verschiedene Szenarien im Kopf einfach ein paar Mal durchspielt und sich auf verschiedene Fragen, die vielleicht kommen könnten, innerlich vorbereitet.

Gerade das Outing vor den Eltern stellt sich oft als heikel heraus. Es ist schon seltsam, wie emotional besetzt für aufgeklärte Menschen die Sexualität ihrer eigenen Kinder sein kann, und wie fürchterlich vielen Erwachsenen die Sorge, die Eltern könnten einen ob der eigenen sexuellen Orientierung schlimmstenfalls nicht mehr lieben oder gar verstoßen, auf die Befindlichkeit drückt. Aber so ist das nun einmal: Eltern sein ist ebenso ein lebenslanger Job wie Kind sein, und paradoxerweise sind die Ängste, Sorgen und Nöte auf beiden Seiten oft umso größer, je liebevoller und enger die Beziehung zu den Eltern ist.

"Meine Mutter ist Psychotherapeutin von Beruf. Als mein Bruder dann sein schwules Coming-out hatte, hätte ich eigentlich erwartet, dass sie darauf professionell reagiert - aber Pustekuchen. Das Wichtigste daran war, dass sie sich in ihrer Rolle als Genvererberin betrogen und als Frau abgelehnt fühlte. Tja, und nachdem ich mein Coming-out vor mir selbst und der Freundin dann hinter mir hatte, mich in der Rolle als Mitglied einer sexuellen Randgruppe ganz wohl fühlte, dachte ich, es wäre doch Zeit, mal mit Muttern drüber zu reden. Nicht dass es für mich noch so wichtig gewesen wäre wie zehn Jahre vorher, aber ich wollte ihr beibringen, dass Sadomasochisten auch in der eigenen Familie vorkommen. Die Gelegenheit ergriff ich beim gemeinsamen Pilzesammeln, da es wie aus dem Lehrbuch günstig erschien: Keine Arbeit, keine weiteren Familienangehörigen in Lauschweite und allgemein gelockerte Stimmung. War aber dann nicht so toll. Oder anders: ihre erste Reaktion darauf, dass sie nun zwei Randgruppen-Söhne hat, war: "O Gott, bitte nicht".
Im Rückblick war es gut, dass ich das Outing nicht in einer Zeit gemacht habe, in der ich selbst noch unsicher in der Rolle war, es hätte mich eindeutig zurückgeworfen. So war es mir ein wenig egal, ich hatte halb und halb damit schon gerechnet und konnte vor allem mit der ablehnenden Reaktion umgehen."
Johannes

Grundsätzlich gilt beim Outing: Viele erste Reaktionen sind Resultat mangelnden Wissens und rühren daher, dass die Eltern sich Sorgen machen, weil der Begriff SM für sie eben mit Schmerz und Verletzung und nicht mit Lust, Freude und Erfüllung besetzt ist. Viele Eltern werden von einer Vielzahl von Ängsten überflutet, wenn sie "so etwas" über ihr Kind erfahren: das reicht von "was werden die Nachbarn sagen?" über "hab ich was falsch gemacht?" bis zu "ist das nicht gefährlich?" oder "mein Kind ist ein kranker Perverser". Dass Eltern diese Ängste haben können, sollte man sich von vornherein klar machen - und auch Verständnis dafür zeigen.

"Ich habe mich nach einigen Monaten bei meiner Mutter geoutet, und es lief überhaupt nicht gut. Von 'sowas denkt man vielleicht, aber man macht es doch nicht ' über 'ich hab ein gesundes Kind geboren und du lässt dich verletzen' und 'bist du jetzt Freiburgs Hure?' bis zu 'wenn du mal Kinder haben willst, werden das Kinder der Gewalt'. Es folgte eine relative Funkstille über 2-3 Jahre, die sich jetzt zwar etwas aufgelöst hat, aber über SM wurde nicht mehr gesprochen. Es ist ein Un-Thema. Nach dem, wie die Mutter meines Partners denkt ('jetzt hast du ja eine Freundin, jetzt brauchst du das nicht mehr so') vermute ich, daß auch meine Mutter denkt, daß sich das mit SM etwas 'gelegt' hätte. Noch dazu, wo mein Partner so schwiegermutterkompatibel erscheint. Insgesamt rate ich eher weniger zum Outing gegenüber Eltern."
Birgit

Oft genug ist das Gegenüber aber einfach nur momentan überfordert, und das ist nicht verwunderlich, wenn man sich einmal in dessen Lage versetzt: Da denkt man, man kennt jemanden in- und auswendig, man hat ein sehr detailliertes Bild von ihm oder ihr, und dann wird dieses Bild plötzlich in einem ganz entscheidenden Punkt ein völlig anderes. Im Kopf spielt das Gegenüber vielleicht Szenen durch, sucht nach Anzeichen, versucht, die neue Information, die so gar nicht ins eigene Bild von der geliebten Person passen will, zu verwerten und einzuordnen. Wenn man dann nur auf Vorurteile und Fernsehklischees zurückgreifen kann, die für die meisten Menschen in puncto SM die einzigen Anhaltspunkte sind, ist verständlich, dass die Situation emotional zunächst erschütternd wirken kann:

"Ich bin frisch verliebt, habe einen neuen Freund, bin glücklich, meine Mum stänkert rum, also wie immer. Doch als der Freund dann häufiger bei mir ist, versteht sich sogar meine Mum gut mit ihm. Der Rest der Familie, Großeltern eingeschlossen, mag meinen Süßen auch sehr gerne. Plötzlich jedoch wird meine Mum unfreundlich, abweisend, scheinbar ohne Grund. Meine Schwester klärt mich irgendwann auf, was denn los ist: Meine Mutter hat eine Tüte mit Spielzeug unter meinem Bett gefunden und regt sich extrem drüber auf. Sie hat es meiner Oma, meinem Onkel, meiner Schwester und meinem Vater empört erzählt. Ich spreche sie irgendwann drauf an, weil sie es einfach nicht schafft, mich anzusprechen. Sie hört mir nicht richtig zu, was ich allerdings auch nicht erwartet habe. Sie glaubt, mein Schatz würde mich verkaufen, er hätte mich hörig gemacht und er wäre der dominante Teil unserer Beziehung. Dass das etwas anders ist, will sie einfach nicht hören. Dann kommt aber das, was man von einer gebildeten Frau einfach nicht erwartet. In der Tüte war unter anderem auch eine Gummimaske. Meine Mutter meinte völlig ernst: Sie hätte ja neulich im Tatort was gesehen, da hätte der Staatsanwalt sich auch immer eine Gummimaske angezogen, wenn er Besuch von diesen Frauen bekommen würde. Also wäre ja erwiesen, daß Olli mich auch verkaufen würde. Ich hab herzlich gelacht und fand das nur albern. Dann haben wir erstmal nicht mehr miteinander geredet. Mein Dad war extrem neugierig und wollte genau wissen, wie das denn so wäre. Er hat sich auch meinem Süßen gegenüber nicht anders verhalten als vorher. Meine Geschwister wußten das eh schon ... meine Oma hatte eine Zeitlang Probleme, ignoriert das jedoch jetzt und mein Onkel ist leider auch etwas seltsam geworden. Leider wohnt mein Vater nicht mehr zu Hause. Olli hat jetzt quasi Hausverbot. Ich würde es gerne wieder ändern - ich hab schon alles, was auf meine Neigungen hinweisen könnte, außer Haus gebracht. Ich wohn leider noch zu Hause, sonst wär es mir egal ..."
Verena

Allein die Tatsache, dass man eine solche Sache so lange vor jemandem verheimlicht hat, wirft beim Gegenüber oft das Gefühl auf, dass man die Person, die man da zu kennen glaubte, gar nicht wirklich gekannt hat. Die Furcht, da könnten noch andere Geheimnisse sein und dass man es in Wirklichkeit mit jemand ganz anderem zu tun hat, spielt vielleicht unterschwellig auch eine Rolle. Vielleicht wird das lange Verheimlichen als Vertrauensbruch interpretiert. Eine gekränkte Reaktion kann die Folge sein.

Ob nun den Eltern gegenüber, oder den Freunden: wenn die Reaktionen ängstlich oder verstört oder extrem emotional sind, sollte man Geduld und Zeit mitbringen. Wenn man sich selbst outet, steht man in der Regel am Ende eines langen Prozesses der Selbstfindung und Selbst-Annahme. Die meisten nehmen sich Monate oder Jahre Zeit, sich mit der eigenen SM-Identität anzufreunden - und nicht wenige hadern furchtbar mit sich selbst in dieser Zeit. Warum sollte das bei anderen schneller gehen? Man sollte sich in jedem Fall bereit zeigen, Fragen auch zwanzigmal zu beantworten und die Eltern oder Freunde dort abholen, wo sie stehen. Es ist oft ungeheuer schwierig, sich mit den Einwänden der Eltern oder Freunde auseinanderzusetzen, weil man sich durch den ständigen Erklärungszwang in eine unangenehme Defensivhaltung gedrängt fühlen kann. Wenn man sich selbst aber immer wieder vor Augen führt, wie groß der eigene Informationsbedarf war und wie lange man selbst gebraucht hat, um das alles zu verdauen, fällt es sicher leichter, sich solchen Auseinandersetzungen und Erklärungsorgien zu stellen - zumal, wenn man sieht, wie die Skepsis nach und nach anfängt zu bröckeln.

Trotz aller Ermutigung soll nicht verschwiegen werden, dass das Outing unerfreuliche und aufwühlende Szenen und Prozesse nach sich ziehen kann. Natürlich gibt es immer wieder Leute, die das alles einfach nur widerlich und verwerflich finden. Wenn man eine solche erste Reaktion auf das eigene Outing erfährt, ist das sehr schmerzhaft. Es bedeutet ja schließlich die Ablehnung eines Teils der eigenen Identität. Trotzdem sollte man die Flinte nicht sofort ins Korn werfen, denn erstens können auch hinter solchen Reaktionen Ängste oder Gekränktheiten stecken, zweitens könnte es daran liegen, dass das Gegenüber von gänzlich falschen Tatsachen ausgeht und drittens geht es ja schließlich um jemanden, der einem am Herzen liegt.

Sollte sich herausstellen, dass jemand sich deinen Bemühungen ganz und gar verschließt und fürderhin nichts mehr mit dir zu tun haben will, ist das natürlich umso schmerzhafter, je wichtiger einem diese Person ist. Dennoch: wer auch langfristig und nach der Überwindung des ersten Schrecks nicht bereit ist, dich als Ganzes zu akzeptieren, wer vielleicht nicht einmal zuhört, wenn du ihm erklären willst, was in dir vorgeht, der hat eine seltsame Auffassung von Zuneigung.

Doch genug der unschönen Szenarien: hin und wieder läuft so ein Outing ja auch völlig ohne böse Worte oder Auftritte ab - und hinterher fragt man sich höchstens, warum man sich zuvor so gesorgt hat und wundert sich vielleicht sogar, wie unspektakulär alles abgelaufen ist. Oder die Dinge entwickeln sich nach einem anfänglichen Schrecken in kurzer Zeit und ohne viel Zores sehr angenehm.

"Es war nachher alles schrecklich antiklimaktisch, meine Eltern haben gesagt, ja, gut, wenn du meinst, uns das sagen zu müssen - wir kennen dich, wir wissen, daß du nicht gefährlich, geisteskrank oder sonstwas bist. Und dann haben sie sich angefangen zu streiten: Zuerst hat meine Mutter gefragt, ob mir wehgetan wird, und mein Vater hat gleichzeitig gefragt, ob ich anderen Leuten wehtue, und bevor ich antworten konnte, haben sie dann angefangen, sich zu streiten, was schlimmer wäre. Und als ich endlich ein Wort einbringen konnte und sagen konnte, daß das alles irgendwie etwas komplizierter, aber auch gleichzeitig einfacher ist, war schon eine riesenphilosophische Diskussion über die Rollen als Top und Bottom entbrannt. Meine Eltern haben eigentlich nie damit Probleme gehabt, es ist klar, dass sie sich Gedanken drüber gemacht haben, es ist auch klar, daß sie bestimmt die Phase hatten 'was haben wir falsch gemacht?', aber das Schöne ist, beide haben einen gewissen psychologischen Hintergrund, und ihnen war eigentlich auch klarzumachen, daß nichts mit mir passiert ist, sondern dass ich einfach passiert bin, oder meine Neigung einfach passiert ist, ohne dass sie irgendwas dran hätten machen können."
Wolf

"Wenn ich in meinem Bekanntenkreis - also unter meinen nichtperversen Bekannten - wenn ich da mal streue, dass ich mit einer Frau ins Bett gehe oder dass ich pervers bin oder sowas: die sind vielleicht ein bisschen überrascht, aber es ist nie so, dass die Leute schockiert wären, und oft genug kriegt man dann auch zu hören: ach, naja, warum nicht?"
Christina

"Meine Eltern haben das beide ganz positiv aufgenommen und haben interessiert Fragen gestellt. Mein Vater meinte gleich, ich solle mich niemals in kompromittierenden Situationen ablichten lassen, weil das womöglich meiner späteren Karriere (ich studiere Jura) abträglich sein könnte. Mittlerweile sind sie deutlich interessierter und haben mir gegenüber auch schon die ein oder andere 'Session' gestanden, natürlich nie unter dem Aspekt, primär in irgendeiner Form BDSM zu praktizieren. Neulich hätte ich sie fast dazu überredet, mal mit zu einem Treffen zu kommen, es scheiterte letztlich aber an Organisatorischem. Aber sie sind schon mal nicht gänzlich abgeneigt. Meine Freunde haben auch alle ganz locker reagiert. Von einigen bekam ich sogar zu hören: 'Das hätte ich mir von dir ja denken können' oder 'Das habe ich mir bei dir eh schon immer gedacht' jedoch generell positiv gemeint, nicht abwertend. Meine Geschwister waren nach Beantwortung der Standardfragen auch zufriedengestellt. Und mein 14jähriger Bruder hat mir zu Weihnachten etwas ganz Köstliches geschenkt. Im Vorfeld wusste jeder in meiner Familie über dieses Geschenk Bescheid. Alle kicherten hinter vorgehaltener Hand und priesen mir gegenüber immer nur die Pfiffigkeit dieses Geschenkes, das ganz prima zu mir passen würde. Ich bekam dann eine Kondom-Schatulle aus Keramik, die einem Bett nachgebildet war, auf dem ein in Ketten gefesselter, kaum bekleideter, blondlockiger, ekstatisch blickender Jüngling lag.
Gegen meinen Willen geoutet wurde ich noch nie - es wissen ja fast alle Bescheid. Dieser Mut zum Outing vor allen meinen Angehörigen und Freunden wurde mir von einigen hoch angerechnet und teilweise auch geneidet. Ich denke da besonders an schwule Freunde, die sich selbst als weniger outingfähig einschätzen."
Marit

 

 

Lieblingsreaktionen von Eltern

  • SM? Gott sei Dank - ich dachte jetzt, du hast Multiple Sklerose.
  • SM? Gott sei Dank - ich dachte jetzt, du nimmst Drogen.
  • Aber solche Phantasien haben doch alle Frauen ...
  • Ganz der Vater!
  • Auch das noch ...
  • Naja, ich weiß ja, dass du dich nicht verhauen läßt, so wehleidig, wie du bist.
  • Schläge? Die kannst du von mir haben!

 

 

Outing im Beruf

In Berufen, in denen die Kommunikation mit den Kollegen sich auf "32, 32 bitte die 17" beschränkt, sind die eigenen Freizeitbeschäftigungen und sexuellen Gewohnheiten eher kein Thema. Wer sich aber auch mal über privatere Angelegenheiten unterhalten möchte, wer auf dem Firmenrechner ab und zu SM-Websites betrachten will, ohne vorher die Tür abzuschließen, oder wer einfach keine allzu strikte Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit ziehen will, für den kann Offenheit auch am Arbeitsplatz wichtig für die persönliche Zufriedenheit sein.

"Sexualität ist ein Teil, der nicht zur Einzelperson oder zu einer Paarkonstellation dazugehört, sondern es gehört in den Alltag rein. Und zwar generell und überall. Und wer so tut, als würde er als Neutrum durch den Alltag laufen: das ist eine Illusion. Schon als Lesbe ist mir das natürlich permanent begegnet, dieses 'machts doch in eurem Schlafzimmer und ansonsten schweiget still'. Das hab ich übrigens von meinen Eltern auch so vermittelt bekommen bei meinem lesbischen Coming-Out. Das war meine wesentliche Erfahrung damals, und ich glaube, das prägt auf jeden Fall auch meinen Umgang mit SM. Weil das einfach ein Teil meiner Persönlichkeit ist, der überall in irgendeiner Form präsent ist. Ich meine, man hat ja zu jedem Menschen auch irgendwie ein Feeling, was Sexualität, Erotik, Anziehung, die Chemie angeht. Und da ist SM natürlich immer mit dabei. Also wenn mich im Büro irgendjemand völlig maso anguckt, dann denk ich, ach, wie süß, und kommuniziere natürlich auch sofort anders, ganz klar. Und es ist eigentlich eher ein Geschenk, wenn man in der Lage ist, das wahrzunehmen. Wenn ich mit meinen Kollegen immerhin mal so zehn Wortwechsel weiter gehen kann, als wenn ich sofort 'hmpf' mache, ist das natürlich toll, das macht Spaß."
Andrea

"Negative Reaktionen gab es eigentlich gar keine, positive reichten von Interesse an der Sache bis hin zum 'Gegen-Outen'. Meine Arbeitskollegen verweisen Interessierte inzwischen einfach an mich. Einen Mitarbeiter, der sich im großen Kreis abfällig über SMer und Homosexuelle äußerte, wiesen die Kollegen lautstark und eloquent zurecht, ich brauchte selbst nicht ein einziges Wort zu sagen."
Sven

"Wo ich arbeite, sind so fünfzig, sechzig Prozent Schwestern und der Rest sind Heten. Ich mach da auch keinen Hehl draus, weils mir halt einfach regelmäßig so geht, daß ich mit irgendwelchen Erlebnissen so vollgepfropft bin und die dann auch mitteilen möchte. Mein Chef weigert sich heute noch, meine Tasche zu kontrollieren nach Feierabend, weil er mal die bittere Erfahrung gemacht hat, daß meine Tasche ausgerechnet an dem Tag - wir wollten anschließend ausgehen, und da hatte ich meine Gasmaske, Handfesseln, Seile, alles da drin. Und er wirft einen Blick in die Tasche und sagt: 'Was ist das!' Und dann hab ich ihm halt bereitwillig Auskunft darüber gegeben. Man muss sich vorstellen, mein Chef ist klein, pummelig, trägt immer ganz kleinkarierte Anzüge und so eine Hornbrille und ist ziemlich konservativ. Seitdem kontrolliert er meine Tasche nicht mehr."
Sascha

"Ich lauf in meiner Firma nicht rum und oute mich dort, aber wenn irgendjemand mal über die Webseiten stolpert oder das sonstwie mitkriegt - es passiert halt auch, dass Leute mich deshalb anrufen, wenn ich grade im Büro bin, und dann unterhalt ich mich auch mit denen. Wenn das mal jemand rauskriegt in der Firma, dann ist es halt so. Ich mach mir da keine großen Sorgen um meinen Job. Ich weiß jetzt nicht, ob ich unbedingt mein Konterfei in der Süddeutschen abdrucken lassen würde, die meine gesamte Kollegenschaft liest, das wahrscheinlich eher nicht. Aber wenn das Gespräch mal drauf kommt und jemand sagt, ich hab dich da gesehen, sag ich, ja und? Da hab ich kein Problem. Ich glaub auch nicht, dass mir daraus berufliche Nachteile erwachsen. Weil ich relativ sicher bin, je mehr man selber zu solchen Sachen steht, umso weniger Angriffsfläche bietet man auch."
Christina

Natürlich ist die Akzeptanz am Arbeitsplatz sehr von der Branche abhängig, in der man tätig ist, und es spielt auch eine Rolle, ob man auf dem Land oder in einer größeren Stadt lebt. In manchen Branchen haben die Leute schon Apotheken vor Pferde kotzen sehen und ein SM-Outing wird schulterzuckend zur Kenntnis genommen werden. Bei anderen Arbeitgebern, zum Beispiel sozialen Institutionen mit kirchlichem Hintergrund, kann es bösen Ärger geben. Für einen Hausarzt wird es in der Regel eher Probleme geben als für einen Werbetexter, für einen Pfarrer eher als für einen DJ, auf dem Lande mehr als in der Stadt. Wer mit Kindern arbeitet, wird eher auf Probleme stoßen, als jemand, der nur Haare schneidet. Diskriminiert werden kann man natürlich überall, aber die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist doch, je nach der Arbeitsumgebung, sehr unterschiedlich. Wer sich nicht sicher ist, dass alles glattgehen wird, und keinesfalls seinen Job riskieren will, dem kann man nicht wirklich guten Gewissens raten, sich komplett zu outen.

In allen Lebensbereichen ist es jedenfalls besser, nicht gleich in der ersten Euphorie alles hinauszuposaunen. Die Geständnisse der ersten Wochen und Monate dienen meist mehr der eigenen Bestätigung als der Aufklärung oder Erbauung des Gesprächspartner - gute Freunde sollten das zwar aushalten, aber genaugenommen benutzt man sie damit für eigennützige Zwecke und strapaziert ihre Geduld unter Umständen erheblich. Ein Outing nach ein oder zwei Jahren ist auch noch früh genug, und bis dahin ist man wieder zurechnungsfähig genug, um einschätzen zu können, wann man jemanden ungefragt mit dem eigenen Innenleben belästigt und wann Offenheit tatsächlich angebracht ist.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001