Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
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und noch ein paar mehr.

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Aus dem Nähkästchen

Interview mit Michael

 

Ich bin ja 94 nach Berlin gezogen, habe dann 95 meinen jetzigen Freund kennengelernt, und da gab's für mich immer nur diesen Standard-Blümchensex, das war's dann. Dass es noch was anderes gibt, das hatte man zwar ab und zu im Fernsehen gesehen oder auf Pornovideos, aber dass man sowas machen kann, hatte ich mir nicht vorgestellt, trotz meines damals schon fortgeschrittenen Alters. Naja, und im Februar 1996 war ich dann zu einer Geburtstagsfeier in ein Studio eingeladen, und das hat mir so viel Spaß gemacht und mit dem Inhaber des Studios habe ich mich gleich gut verstanden. Ich hatte schon früher immer gesagt: wenn mal Not am Mann ist und ich Geld brauche, dann hab ich auch kein Problem damit, das für Geld zu machen. Letztendlich hat es sich dann so ergeben, dass er angerufen hat, hast du Zeit, hast du Lust, ein paar Mark zu verdienen, eine schnelle Nummer, hundertfünfzig Mark, klar, warum nicht. Sind wir dann ins Studio gegangen. War direkt vor der Haustür, da hatte ich's nicht weit. Und dann hab ich natürlich auch durch diese Arbeit da in dem Studio für mich selber festgestellt, dass das eigentlich so meine Richtung ist.

Ich habe zu dieser Nebentätigkeit sowieso ein besonderes Verhältnis: ich habe meinen Spaß, das spielt für mich da in erster Linie eine ganz große Rolle. Das Geld ist dabei eigentlich sekundär. Wenn ich das jetzt inseriere und das für Geld mache, geht's mir in erster Linie dabei, meinen Kopf durchzusetzen. Es muss schon ein bisschen so nach meiner Richtung gehen. Ich geh natürlich auch auf das Gegenüber ein, kein Thema - ich habe grade vorgestern wieder einen Gast gehabt, der zum zweiten Mal bei mir war, in dem Studio. Das Studio miete ich extra an, das kostet mich die Stunde hundert Mark. Die meisten Gäste, die ich habe, die das Studio für eine Stunde haben wollen, die sind dann auch bereit, für was Aussergewöhnliches ein bisschen mehr zu bezahlen. Da muss man sich natürlich auch immer wieder was Neues einfallen lassen, weil der Gast, der da war, der möchte für sich persönlich, so wie ich das für mich erlebt habe, seine Grenzen kennenlernen: wie weit ist er eigentlich steigerungsfähig, sich gehenzulassen, Vertrauen aufzubauen. SM hat ja auch sehr viel mit Vertrauen zu tun, ob das jetzt für Geld ist oder privat - einfach so abschalten und fallenlassen funktioniert meistens nicht.

Die Erfahrung, die ich in den letzten vier Jahren gemacht habe ist, dass es ganz wenige sind, die ins Studio kommen, ausziehen, anfangen, fertigwerden, gehen. Es gibt aber auch sehr viele, die wollen erst mal ein bisschen reden, sich so ein bisschen akklimatisieren, grade wenn sie zum ersten Mal da sind. Es gibt sehr viele, die stocken erst mal an der Tür, die so ein bisschen Schiss haben, wenn sie die Einrichtung sehen ... manchmal hat man wirklich das Gefühl, dass die Leute ein bisschen Angst haben, in so ein Studio zu gehen, weil sie denken: komm ich da mit heilen Knochen wieder raus? Der von vorgestern - also wir waren zu zweit - der war so angetan davon, dass er jetzt täglich anruft, ob er denn noch ausbaufähig wäre? Das hört sich wirklich sehr kommerziell an, als würde ich ein Unternehmen führen: ausbaufähig. Der ist jetzt so drauf, dass er seine Grenzen, die er durch uns kennengelernt hat, beziehungsweise das, was er erleben konnte vorgestern, so dieses absolut bedingungslose Hingeben, sich nicht mehr bewegen zu können, fest eingepackt zu sein, ob das noch weiter ausbaufähig ist. Weil er hatte sich immer noch ein bisschen selber stützen können, und jetzt möchte er halt das nächste Mal, wenn er kommt, für seine Begriffe die absolute Hingabe, das heisst: absolut in unserer Gewalt zu sein. Weil er auch Vertrauen zu uns hat, beim zweiten Besuch schon, bei manchen dauert's ein bisschen länger, dass wir ihn völlig vom Boden wegnehmen können, das heisst, festgebunden, eingepackt sein, alles mit sich machen lassen.

In der Regel dauert so eine Sitzung eine Stunde und kostet, wenn ich's bei mir zu Hause privat mache, hundertfünfzig Mark, wenn ich's im Studio mache, ab zweihundertfünfzig Mark aufwärts. Sehr viele wollen ohne Zeitdruck, das heisst, nicht diese vorgegebene Stunde, aber meist ist der Spaß nach einer Stunde doch vorbei. Wenn der Mann dann abgespritzt hat, dann wollen sie das Studio meist auch schnell wieder verlassen. Ich merke das auch selber an mir, wenn's besonders gut war und ich selber abspritze, dann möchte ich eigentlich zehn Minuten danach meine Ruhe haben, dann beende ich das von mir aus. Das wird dann so gedreht, dass man die Sitzung dann beendet und es nicht zum zweiten Abspritzen kommt. Kann ja sein, dass noch jemand kommt. Dann braucht man's ja noch. Du musst mehrmals am Tag abspritzen können. Viele fragen mich schon am Telefon: spritzt du dann auch ab? Die wollen das wirklich sehen und fragen ganz gezielt danach. Dann sagt man natürlich, ja. Es gibt sehr wenige, die es dir dann übelnehmen, wenn du es nicht tust. Die meisten sehen dann schon drüber weg, wenn du nicht kannst. Tenor ist aber genau wie in der Hetenszene auch: beim SM-Spiel spielt das Kommen in dem Moment eigentlich keine so große Rolle. Diese anderen Spielarten sind da schon wichtiger. Ich denke da an so einen Bondagetyp, der hat alleine, ohne dass man seinen Schwanz angefasst hat, nur vom Festbinden am Käfig einen Steifen gekriegt, und nur von diesem Festbinden kam er dann auch zum Orgasmus. Unbeweglich an diesen Käfig festgebunden zu sein, war für ihn das Allerhöchste.

Es gibt diverse Gründe, ins Studio zu gehen. Ein Studio ist immer ein bisschen anders eingerichtet als zu Hause. Du wirst nie deine eigene Wohnung schwarz streichen, schwarze Vorhänge davormachen, dir ein Andreaskreuz in die Wohnung stellen - es gibt nur ganz wenige, die das machen, und die haben dafür ein separates Zimmer, das verschlossen ist und wo normaler Besuch gar nicht reinkommt. Auf der eine Seite haben sie ihre normale, bürgerliche Wohnung, und dann haben sie ein kleines Zimmer, ihr Spielzimmer, und das ist so eingerichtet. Die meisten Schwulen gehen zu jemand Professionellem - das Alltägliche können sie in irgendeiner Kneipe im Keller haben. Die wollen was Aussergewöhnliches erleben und sind auch bereit, dafür Geld zu bezahlen. Meiner Erfahrung nach sind das auch fast alles Männer ab 35, die's in der Schwulenszene schon ein bisschen schwerer haben, überhaupt jemanden kennenzulernen. Das fällt mir selber auch schon schwer, wenn ich in die Szene gehe, aber aufgrund dessen, was ich praktiziere, kann ich mit einem Fünfundzwanzigjährigen nichts anfangen, weil ich davon ausgehe, dass er mir das, was ich haben will, nicht geben kann, weil er einfach nicht so erfahren ist. Was ich so erlebt habe, gehen ins Studio aber wirklich fast nur die Leute, weil sie's im Privaten nicht umsetzen können. Weil sie entweder verheiratet sind, womöglich mit Kindern, oder aber weil sie einen festen Freund haben und das mit dem festen Freund zu Hause nicht machen können, das Andere aber trotzdem brauchen. Dann kommen sie halt zu mir und bezahlen dafür Geld.

Die Gäste sind ja meistens keine Eintagsfliegen: wenn's gut war, kommen die immer wieder. Dann entsteht auch ein persönlicher Kontakt: oft haben sie gutdotierte Posten und in der Öffentlichkeit einen Ruf zu verlieren, wenn rauskommt, dass sie schwul sind. Nach aussen führen sie ein bürgerliches Leben und haben eine Familie mit Frau und Kindern, und irgendwann abends ziehen sie um die Häuser und gehen in die Szene oder zu einem Callboy.

Ich inseriere in Stadtillustrierten. Frauen haben auf meine Anzeige noch nie angerufen, und wenn eine Frau anrufen würde, bin ich ganz ehrlich, würde ich ablehnen. Das könnte ich nicht, das hat was mit Respekt vor der Frau zu tun. Das, was ich mit einem Mann mache, sprich Rohrstock, Peitsche und so weiter, könnt ich mir nie vorstellen mit einer Frau zu machen, nicht mal wenn sie's haben wollte. Da hätt ich persönlich ein echtes Problem damit. Ich war ja früher auch mal verlobt, und es gab mal eine Situation, wo sie angefangen hat, mich zu prügeln. Im Streit natürlich, an SM war damals nicht zu denken. Ich hab auch eingesteckt bis zu einem gewissen Punkt, und dann hab ich zurückgeschlagen. Aber das hab ich bis heute im Kopf behalten: ich werde nie mehr eine Frau schlagen.

Bevor ich dieses Studio kennengelernt hatte, hatte ich schon immer gedacht: das kann eigentlich nicht alles sein, es muss auch noch andere Spielarten geben. Dann hat man sich hin und wieder auch mal aus der Videothek so einschlägige Filme geholt und sich das angeschaut, aber ich persönlich konnte mir nie vorstellen, dass das wirklich funktioniert, dass es wirklich Leute gibt, die sowas machen, dass es mir auch selber Spaß macht, dass ich eventuell darauf stehen könnte. Ich kannte auch niemanden, von dem ich wusste, der steht da drauf, auf Fesseln, auf Peitschen, teilweise sogar auf Treten und Boxen.

Ich bin ja nicht nur der aktive Teil, ich steh ja auch selber drauf, dass man mir die Augen verbindet oder eine Maske aufsetzt oder mich ans Andreaskreuz fesselt und mich auspeitscht, Rohrstock und Peitsche, das macht mir auch selber Spaß. Wenn jemand ins Studio kommt, möchte ich aber doch immer das Zepter in der Hand behalten. Teils aus Sicherheitsgründen, aber in erster Linie will ich selbst bestimmen können. Das ist für mich schon ganz wichtig. Der Zeitfaktor spielt natürlich auch wieder eine Rolle: wenn du am Andreaskreuz festgebunden bist, kannst du in der Regel nicht mehr bestimmen, wann das Ganze zu Ende ist. Der Zeitpunkt verschiebt sich dann häufig nach hinten.

Ab und zu lehne ich jemanden aus Gründen der Sauberkeit ab. Ein Mann der stinkt - das muss nicht sein. Ein Mann, der nach Schweiss riecht, kann angenehm sein, kann aber auch unangenehm sein. Und wenn einer unangenehm riecht, das tu ich mir nicht an. Und es gibt auch Leute, die sagen zu mir: Hör mal zu, Kleener, mit dir kann ich nicht, tut mir leid. Dann gehen sie wieder. Oder es kommt jemand, wo ich dann nach zehn Minuten merke, es funktioniert nicht. Da bin ich dann genauso ehrlich und sage, das klappt nicht. Dann geht der unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Das Recht nehm ich mir raus, Leute abzulehnen, wenn ich einfach merke, da kommt nichts rüber.

Im Vorgespräch geht es in der Regel um Alltägliches. Irgendwann bringt man das Gespräch dann doch darauf, worauf der andere eigentlich steht, was er möchte. Ob er auf Schlagen steht, auf Fesseln, ob er gefickt werden möchte. Da hilft eine Tasse Kaffee meistens sehr viel, oder ein Bier.

Das Studio ist so eingerichtet, dass man auch auf ausgefallene Wünsche vorbereitet ist. Ausser es wird dann zum Beispiel eine braune Geschichte verlangt, das bedarf sowieso einer gewissen Vorbereitung. Das geht nicht von heute auf morgen, sondern dann macht man ganz gezielt einen Termin aus, weil bestimmte Dinge vorzubereiten sind, der Fußboden muss mit Folie ausgelegt werden ... Ich hab diese Erfahrung nur dreimal gemacht, und das waren Typen, die standen absolut darauf. Die hatten da keine Probleme mit, da hatte ich hinterher mehr Probleme. Wir waren zu mehreren und ich habe mich mitreissen lassen, weil die Situation einfach geil war, aber hinterher bin ich selber erschrocken. Der, der eigentlich da war als Gast, der ist da stolzerhobenen Hauptes rausgegangen. Weil er das bekommen hat, was er wollte. Ich persönlich bin nach Hause gegangen ... mein Freund war damals dabei, bei dem Abend ... da hatte ich mehr Probleme mit, dass ich mich überhaupt auf sowas eingelassen habe. Pissspiele und so, das ist kein Thema, das mach ich jederzeit.

In der Regel werden die Termine sowieso nicht eingehalten. Die rufen an, ich komm vorbei, in einer halben Stunde bin ich da - du machst und tust und nach einer Stunde sitzt du immer noch da und wartest auf die Leute. Von hundert, die anrufen, kommen letztendlich vielleicht zehn. Die anderen haben Angst vor der eigenen Courage, Angst davor, etwas Neues an sich zu entdecken, was sie sich eigentlich immer wünschen, aber nicht zulassen können. Bei mir wars grade umgekehrt: ich hab das erlebt und wär am liebsten zwei Tage später wieder hingegangen. Aber ich musste ja erst mal meine Schrammen pflegen, die hat man noch drei Wochen später gesehen.

Ich hatte einen guten Lehrmeister, von dem ich mir viel abgekuckt hab. Ich konnte mich da absolut gehenlassen, weil ich wusste, er achtet drauf, dass er meine Grenzen nicht überschreitet, wo es kein geiler Schmerz mehr ist, sondern ein Schmerz, der wehtut. Das soll's ja nicht sein. Es soll den anderen ja geil machen, er soll sich ja, auch wenn's schmerzhaft ist, wohlfühlen dabei.

Ich bin nicht derjenige, der beim ersten Treffen das ganze Repertoire runterleiert - der Gast kommt dann vielleicht einmal noch und dann nie wieder. Man muss das Gegenüber schon einzuschätzen versuchen und nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen, dann kommt der sowieso wieder, weil er noch ein bisschen mehr erleben will. Du fängst an, deinen Kopf abzuschalten, dich nicht mehr zu fragen: darf ich das überhaupt zulassen? Ist das noch normal, was ich hier mache?

Ich habe zwei Anzeigen, eine mit "gepflegter häuslicher Atmosphäre" hier bei mir zu Hause, und die andere mit dem Studio. Der Unterschied ist schon zu merken, die Anrufer auf diese Anzeige mit der privaten Atmosphäre sind viel mehr als die, die ins Studio wollen, so etwa acht zu zwei ist mein Erfahrungswert.

Mein engerer Freundes- und Bekanntenkreis weiss, was ich mache, ich hab da kein Problem damit, warum auch. Ob ich's jetzt mit oder ohne Geld mache ... naja, mit Geld verhält man sich schon ein bisschen anders, was jetzt die persönliche Hingabe angeht, als im privaten Bereich. Das ist schon ein Unterschied, und es liegt auch daran, dass ich gesagt habe, ich will Regie führen. Im privaten Bereich ist das anders, da kennt man die Leute ja auch länger.

Wenn ich zu meinem Freund sagen würde: "Auf die Knie, du Sau, leck mir die Stiefel!" - der würde sich totlachen. Und umgekehrt halt genauso. Wenn's aus der Situation heraus passieren würde, würde ich im ersten Moment wohl schon auf die Knie fallen, auch wenn's mein eigener Freund ist. Aber dann würde mir die Situation bewusst werden und ich glaub, ich würde auch lachen. Das geht mit anderen Leuten dann schon eher, weil's eben auch eine fremde Beziehung ist. Wir spielen schon von Anfang an beide ausserhalb der Beziehung. Er hat gleich in der ersten Nacht zu mir gesagt: Freundeskreis, Bekanntenkreis, mit denen will er weiterhin rummachen, wenn ich damit klarkomme, können wir's gerne probieren. Halbe Sekunde überlegt, bin geblieben. Daraus sind jetzt im Februar fünf Jahre geworden.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001