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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben
Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews
Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...
Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.
Impressum |
Die schnelle Sadomaso-Nummer
BDSM in den Medien
(Ungekürzte Leseprobe)
"Fichten! Fichten! Fichten!"
Helmut Markwort
Sadomasochismus ist für die Medien immer wieder ein dankbares Sommerlochthema. Je nach
Programm oder Zeitschrift hängt man sich dabei gerne ein mehr oder weniger seriöses
Deckmäntelchen um, doch leider zeigt sich nur allzu oft, dass der Redakteur entweder
(wohlmeinende Interpretation) keine Zeit zum Recherchieren hatte, oder (realistische
Interpretation) die Reportage aus den Untiefen der "Sado-Maso-Szene" genau dann
Leser und Zuschauer zieht, wenn sie sich an vertrauten Klischees entlanghangelt. Selbst
wenn die Autoren mutig genug sind, einen Blick ins Internet zu wagen, wo man ja durchaus
einiges über Sadomasochisten erfahren könnte, beschränken sich ihre Aktivitäten
darauf, irgendeinen Begriff in eine Suchmaschine einzugeben, um hinterher zu erklären:
"Eine ganz normale Suchmaschine im Internet liefert auf einen einzigen Mausklick 4822
Treffer zum Thema 'Sado-Maso-Bizarr'" (Elle) oder "'Alta Vista', die
Suchmaschine, zählt in Sekundenschnelle, wie viele englische Wörter für Lust und
Schmerz im Online-Universum abrufbar sind. ... masochism 74 471, sadism 54 513" (Spiegel
special). Wenn es der Etat zulässt, schaut der Redakteur im nächsten Dominastudio
vorbei und interviewt eine der Damen: dort weiß man ja bekanntlich genau über die
SM-Subkultur Bescheid. Für eine Reportage übers Hochseefischen würde er sich vermutlich
an die Verkäuferin hinter der Nordsee-Theke wenden. Heraus kommen dann gerne mal
Artikel, die sich von "Megaparty auf Ballermann 6"-Berichten lediglich dadurch
unterscheiden, dass die handelnden Personen nicht in der Badehose agieren. Oft werden
Experten bemüht, die keine sind, und so entsteht der Eindruck, der entsprechende Bericht
sei hieb- und stichfest und wissenschaftlich verankert. Leider sind fast alle diese
Reportagen weit von dem entfernt, was den Alltag von SMlern ausmacht.
Wann immer sich die Medien des Themas Sadomasochismus bedienen, greifen sie auf eine
kleine Handvoll oft widersprüchlicher Ansichten und Herangehensweisen zurück. So
schwankt die Berichterstattung zwischen Faszination, Abscheu und Spott, je nachdem, was
gerade besser ins Konzept passt. Da ist zum Beispiel die immer wieder gern genommene
Vorstellung von SM als Trend. "Ein Ende der Maso-Welle ist nicht in Sicht"
schreibt 1990 der Spiegel, und spricht von einem "aufblühenden
Sado-Maso-Trend", der sich allerdings "vor allem in den Medien abspielt, die
damit höchst erfolgreich klassische Männerphantasien bedienen". Wenn denn
Sadomasochismus eine Modeerscheinung ist, so ist er doch eine für unsere Zeit recht
langlebige: noch im Spiegel Special 1996 ist SM "für viele der letzte
Schrei", der Spiegel gibt sich pseudokritisch und beschreibt die Szene als
"wahrlich kein erotisches Elysium, eher eine wilde Lifestyle-Maskerade". Und BILD
schreibt noch 2000, SM sei "plötzlich so in". Fast möchte man die Jungs vom
Guinness-Buch anrufen und einen Eintrag für den längsten letzten Schrei des ausgehenden
Jahrtausends fordern. [siehe dazu auch Nach Redaktionsschluss]
Nicht weniger daneben sind die Artikel und Fernsehberichte, die den Rezipienten zu
einer seltsamen Mischung aus Mitgefühl, Empörung und Betroffenheit auffordern, ohne sich
große Mühe zu geben, die eigene moralische Überheblichkeit zu dämpfen oder auch nur zu
verschleiern. Der Ruch verderbter Dekadenz schwingt vorwurfsvoll und gleichzeitig
irgendwie angetan mit: "Genuss-Sucht. Unsere Gesellschaft ist so satt, dass sie immer
wieder neue Extreme braucht, um Befriedigung zu finden" wettert BILD, und
liegt damit gar nicht so weit vom Spiegel Special entfernt: "Womöglich hat
das Interesse an den schmerzbetonten Spielarten der Lust am Sadomasochismus
in unseren analgetisch saturierten Zeiten deshalb zugenommen, weil das Erleben
existentiell erschütternder Schmerzen weitgehend aus dem Alltag verschwunden ist".
Und laut Emma kommt der Sadomasochismus sowieso "direkt aus den Kerkern der
Inquisition".
Gern genommen werden auch immer wieder die gleichen pseudowissenschaftlichen Klischees
zur Entstehung von Perversionen, SMler als arme kranke Opfer einer wahlweise traumatischen
("Masochismus, der durch schwere körperlich-psychosexuelle Misshandlungen in der
Kindheit oder Jugend entsteht", Frankfurter Rundschau) oder zumindest
schwierigen ("Männer, die ein Sex-Doppelleben führen, stammen oft aus sogenannten
Zwangsfamilien", Elle) Kindheit dargestellt. Überhaupt, die "Defizite
aus der Kindheit" (P.M.) sind es, die den Perversen zum Perversen machen.
Oder waren's nicht doch die dekadenten Zeiten? Die Empörung ist jedenfalls meist recht
unverhohlen, und es schwingt immer auch ein bisschen Entmündigung mit, wenn zum Beispiel
die taz konstatiert: "Um die eigene Geschichte der schmerzhaften
Erniedrigungen, die man ihnen als Zeichen der Liebe verkauft hatte, vor sich geheim zu
halten, gehen Männer zu Prostituierten, bezahlen sie für Auspeitschungen und reden sich
ein, wie ihnen einst die Eltern Ähnliches eingeredet haben, sie würden diese tragische
Situation (den Verlust der Würde und innerer Orientierung) genießen". Hier weiß
der Außenstehende wieder einmal viel besser, wie es dem Betroffenen geht, und was in ihm
vorgeht. Deshalb wären die Perversen selbstverständlich lieber "ganz normal, und
das immer". Und natürlich sind derartig gestörte Kerle "im Alltag
konfliktscheu". (Elle) Beim Spiegel liest man aber offenbar andere
Zeitschriften: "Das Zynische der Medien besteht aber darin, daß sie mit perversen
Menschen reden, ohne die gestörte Beziehung in der Perversion und die oft traumatische
Genese zu thematisieren." Naja, sowas bekommt man schon mal zu hören, wenn man
versehentlich anstelle des Hamburger Sexualwissenschaftlers Günter Amendt den Bremer
Soziologen Gerhard Amendt interviewt ...
Interessanterweise aber wird Sadomasochismus gleichzeitig als etwas mittlerweile ganz
Normales dargestellt und das wird dann, je nach Medium, gefeiert oder kritisiert:
"Was sich früher als 'Perversion' verstecken musste, ist heute 'normal'
geworden", mault die Emma 1998 wenig erfreut. Und laut der scheinbar besonders
abgeklärten Allegra ist "die Verschnürnummer mittlerweile zur erotischen
Routineübung verkommen" und "wer heutzutage keine Fesseln oder Handschellen
unterm Kopfkissen hat, muss sich ja schon fast auslachen lassen". Schön wär's,
denkt der Perverse, und wundert sich, in welcher Welt da recherchiert wurde.
Den ganz normalen Anstrich betont man dann auch in der Vorstellung und Beschreibung der
Interviewpartner: die sind immer ein bisschen hilflos und irgendwie spießig, ihre
Wohnungen immer extrem aufgeräumt und sauber einfach so normal, dass es schon
wieder nicht mehr normal ist. Natürlich, irgendeinen Grund muss sie ja haben für ihren
komischen SM-Kram, die "im mühevollen Alltag mollig gewordene Hausfrau, die bemüht
ist, alles richtig zu machen" (Stern). "'Guten Abend, wir sind Gaby und
Thomas', grüßt ein Pärchen unerwartet brav und schüttelt Hände. SM ist eine höfliche
Angelegenheit." (zitty) Schlagen sich nicht schon zur Begrüßung in die
Fresse? Immer wieder für eine Überraschung gut, diese Sadomasochisten. Mindestens aber
haben sie "Brillengläser wie Glasbausteine" (Tempo) oder sind
"blass" (taz). Auf jeden Fall könnte sie "gut und gerne
Bürokauffrau sein, er Kfz-Mechaniker" (taz) Herrje, natürlich könnte sie
das. Vielleicht ist sie es auch. Vielleicht aber entspricht sie auch ein bisschen weniger
dem Klischee vom spießbürgerlichen Doppelleben, als der Journaille lieb ist.
Über die Anhängerschaft der Sadomaso-Nummer sind sich die Medien jedenfalls fast
einig: verhalten sprechen Spiegel und P.M. von "mehreren
hunderttausend", während BILD, nicht überraschend, in die Vollen greift
und verkündet "Bereits rund eine Million Männer und Frauen bekennen sich zu
Sado-Maso", um dann noch eins draufzusetzen: "Jeder von uns trägt
unterschwellig Sado-Maso-Neigungen in sich". Freut uns, wenn's denn so ist.
Und auch darüber, wer denn nun SM betreibt, wissen alle genauestens Bescheid
wenn die Subkultur das auch anders sehen mag: "Häufig lassen sich besonders
intelligente Männer als Sklaven behandeln, die im Beruf das Sagen haben", meint BILD.
"Mächtige Manager" und "erfolgreiche Unternehmer" weiß der Stern,
und Elle fügt hinzu "Anwälte, Ärzte, Manager" in jedem Fall,
laut Spiegel "nach wie vor fast ausschließlich Männer". Schon klar, Frauen
sind schließlich nur selten mächtige Manager und erfolgreiche Unternehmer ...
Die Folgen allerdings, Modewelle hin oder her, sind in jedem Fall gravierend:
"Sadomasochismus macht süchtig" erkennt Tempo, und Coupé
ergänzt: "Leder-Liebhaberei kann leicht zur Sucht ausarten, die daneben nichts
anderes mehr zulässt". "Die Lust auf gewalttätigen und/oder schmerzhaften,
quälenden Sex kann sich zur Sucht nach immer extremeren, aufwendigeren Spielarten
entwickeln" (Elle). Am besten, man hält seine Wünsche schön unter
Verschluss, denn "Die Verwirklichung einer Fantasie läßt neue, extremere Fantasien
entstehen. Die Verwirklichung dieser Fantasien noch extremere und so fort. Das ist die
Sado-Maso-Spirale, und sie macht mir Angst." (Tempo). Zum Glück gibt es
Abhilfe: "Kann SM süchtig machen? - Ja, unser Tip: Legen sie nur einen SM-Tag pro
Woche ein." (KECK). Aber auch für die Gesellschaft sind die Folgen ganz und
gar fatal: "Tödlich für die Erotik und tödlich für die Frauen" (Emma).
Und für alle gilt: "Nicht nur in SM-Clubs, sondern vor allem im Alltag entwickelt
sich die destruktive Spirale gegenseitiger Entwertung und Demütigung. Die Fantasie beider
Partner, die Qualen des anderen oder die eigenen beherrschen und kontrollieren zu können,
führt zu einer endlosen Kette gegenseitiger Provokationen und Gewalt" (Frankfurter
Rundschau). Wir werden's unseren Freunden ausrichten, die bislang trotz SM eigentlich
ganz friedlich und glücklich miteinander gelebt haben die machen offensichtlich
was falsch.
Unsere persönlichen Lieblinge unter den Medienberichten sind aber noch immer die
kuriosen Insider-Tips aus der Szene "Leder-Fans haben im Autokennzeichen meistens ein
L" und "Auf der Piste erkennen sich Leder-Fans, indem sie kurz am
Uhren-Lederarmband riechen. Wer's weiß, macht's ebenfalls. So kommt man schnell in
Kontakt", hilft uns Coupé weiter. Danke. Da hätten wir uns das Kapitel zum
Thema Partnersuche auch sparen können.
Auch die unzähligen SM-Talkshows der letzten zehn Jahre sind im Allgemeinen höflich
genug, ihren Zuschauern keine ungefilterten Informationen über die raue und schmutzige
Perversenwelt da draußen zuzumuten:
"Ich wurde mal eingeladen, bei einer Talkshow zum Thema SM zu sprechen, als
Angehöriger der schwulen Lederszene. Beim Telefonkontakt wurde ich nur gefragt, ob ich
gut auswendiglernen kann. Ich hab gesagt, das ist für mich kein Problem, ich bin
ausgebildeter Rhetoriker, ich les mir einen Text zwei, dreimal durch, dann hab ich den im
Kopf. Dann sagten die, die Antworten schreiben wir dann vorher, und ich sollte die
auswendiglernen."
Peter
Insgesamt kann man aus den Medien ungefähr so viel über SM lernen wie aus dem
IKEA-Katalog über Schweden: wer sich keinen besseren Reiseführer leisten kann, dem ist
wirklich nicht zu helfen. Die Berichterstattung über Sadomasochismus in den Medien
jedenfalls ist wenig hilfreich weder für diejenigen, die SM praktizieren oder
damit liebäugeln noch für die, die als Außenstehende darüber lesen. Kaum einer unserer
Interviewpartner hatte über SM-Artikel und Fernsehreportagen Positives zu berichten; die
meisten waren gerade durch diese Berichterstattung jahrelang davon abgehalten worden, sich
selbst ein Bild von der Subkultur zu machen. Eine echte Auseinandersetzung mit den
vielfältigen Ausprägungen menschlicher Sexualität findet in den Medien praktisch nicht
statt. Stattdessen werden die Bemühungen der SM-Öffentlichkeitsarbeiter mehr oder
weniger subtil unterlaufen: Die Simulation von Aufklärung verhindert eine tatsächliche
Aufklärung. Schade eigentlich. |