Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Jessicas Bericht

 

Ich war mit 21 mal bei einem Psychologen, vor der Zeit, in der ich SM auslebte. Die Gründe lagen damals darin, dass ich mit mir selber und mit meinem Studium nicht klarkam und einige andere Probleme hatte, wovon meine SM-Phantasien noch das für mich geringste Problem waren. In der ersten Stunde erzählte ich ihm von einem Traum, auf den er meinte, dass ich masochistisch veranlagt wäre. Ich verleugnete das dann einfach und meinte, dass ich es nie ausleben würde. Zu dieser Zeit war ich der festen Überzeugung, dass ich nicht wirklich auf SM stehen würde, sondern es nur mit meiner kaputten Kindheit zusammenhängen würde, dass ich diese Phantasien hätte und ich überhaupt kein Verlangen hätte, es wirklich auszuleben. Das war für mich wohl damals die bequemste Art, mir nicht eingestehen zu müssen, dass ich wirklich auf SM stehe und es gerne ausleben würde. Seine Antwort war darauf, dass ich es irgendwann ausleben sollte, es würde in mir stecken. In den nächsten Stunden wurde von meiner Seite das Thema nicht mehr angesprochen und er hat es auch einfach totgeschwiegen und nach einem halben Jahr brach ich die Therapie aus diversen Gründen ab.

Ein Vierteljahr nach dem Abbruch der Therapie kam ich in die SM-Szene *grins*. In diesem Jahr, mit 22, war ich dann wieder auf der Suche nach einer geeigneten Therapeutin. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten und mir wurde dringendst eine Therapie angeraten. Der Grund für den Nervenzusammenbruch war vor allem die Beendigung einer SM-Beziehung, in der ich meinem Spielpartner hörig wurde. Weil ich zu der Zeit SM weiterhin betrieb und weil mein damaliger Zustand damit zusammenhing, dass diese SM-Beziehung schiefgelaufen war, war es für mich selbstverständlich, dass ich bei den Probesitzungen, die ich bei einigen Therapeutinnen hatte, SM von Anfang an zur Sprache brachte. Als ich dann dachte, dass ich eine geeignete Therapeutin gefunden hätte, sprach ich mit ihr über ein sehr heftiges Spiel, das ich kurz vor der Sitzung hatte. Daraufhin brach sie von sich aus die Therapie ab. Der Grund war, dass sie nicht damit zurechtkam, dass ich SM recht heftig betrieb, und sie in mir nur ein kleines Mädchen sah, das Liebe will und es ihr wehtat, dass ich so heftig SM betrieb (O-Ton Therapeutin). Das war das erste Mal, dass ich mich wirklich extrem pervers fand und ich bin total verstört zum psycho-sozialen Dienst der Universität. Die dortige Psychologin kannte ich, da ich schon mehrmals bei ihr war, weil sie mir bei der Suche nach einer Therapeutin half. Die Psychologin baute mich dann erstmal auf und sagte zu mir, dass ich mich nicht im nachhinein für das verdammen sollte, was mir Spass gemacht hätte und dass an SM eigentlich nichts Schlechtes wäre.

Einige Zeit darauf kam ich zu meiner jetzigen Therapeutin. Ich erzählte ihr gleich von Anfang an, dass ich auf SM stehen würde und fragte sie, ob sie damit ein Problem hätte. Sie überlegte sich dann, ob sie mit mir arbeiten könnte und entschied sich dafür. Sie hatte vor mir noch keinerlei Erfahrung mit Menschen, die SM betrieben, was sie mir gleich sagte, aber sie wollte die Therapie gern probieren. Ihre Meinung ist, dass SM in Ordnung ist, solange es einem guttut.

Der derzeitige Stand der Dinge ist, dass SM nicht das zentrale Thema der Therapie ist, dass es aber immer wieder mal zur Sprache kommt. Sie interessiert sich für das Thema SM, aber was ich genau treibe, will sie nicht bis ins kleinste Detail hören, was ich auch gutfinde, da ich keine Lust habe, mein Sexualleben mit ihr total zu zerpflücken. Wichtiger ist es für sie, zu hören, was ich in der jeweiligen Rolle empfinde. Dass ich SM mache, findet sie inzwischen sogar richtig gut und unterstützt es. Ihrer Meinung nach ist meine Subseite der Weg, sich kontrolliert mit Nähe auseinanderzusetzen und meine Topseite findet sie besonders gut, weil ich mich in dieser Rolle kontrolliert mit meiner Aggression auseinandersetzen kann. Ich denke, dass man SM nicht in einer Therapie verschweigen sollte und dass man zu einem Therapeuten gehen sollte, der eine offene Einstellung gegenüber SM hat und SM nicht wegtherapieren will.

(...)

Erstens ist SM in der Beziehung nur ein Teil der Sexualität geworden und dominiert nicht mehr die Beziehung, wie in meiner ersten SM-Beziehung. In der ersten SM-Beziehung war es eigentlich als reine Spielbeziehung geplant und so ist sie dann auch abgelaufen, es wurde sehr viel gespielt, eigentlich immer und die meisten Gesprächsthemen und Freizeitaktivitäten hatten irgendwie mit SM zu tun. Auch bei den anderen Spielpartnern stand SM ziemlich im Vordergrund. Meine jetzige Beziehung ist im Gegensatz dazu ziemlich konventionell. SM ist eben nur ein Teil der Sexualität.

Zweitens ist meine jetzige Beziehung keine 24/7. Vor allem in meiner voherigen SM-Beziehung fanden mein damaliger Partner und ich nicht aus dem Spiel heraus, so dass wir sowieso die meiste Zeit spielten und wenn wir tatsächlich mal nicht spielten, war trotzdem die Rollenverteilung und SM unterschwellig immer da. Lange Zeit konnte ich mir eigentlich in dieser Beziehung und auch danach gar nichts anderes als 24/7 vorstellen. Es war mein Idealbild einer SM-Beziehung. Doch dann änderte sich meine Einstellung. Ich wollte wieder auch die ganz "normalen" Seiten einer Beziehung erleben und einfach mit meinem Partner ins Kino gehen können oder in der Sonne auf einer Gänseblümchenwiese liegen, ohne dass irgendwie eine Rolle mit reinspielt. Ich denke, dass es durchaus auch 24/7-Beziehungen gibt, in denen das funktioniert, nur bei mir würde es in einer wohl nicht klappen, da ich dazu neige, mich dann viel zu tief und immer in die Rolle extremst reinfallen zu lassen. Jedenfalls wollte ich, dass SM einfach nicht mehr so eine grosse Rolle in meinem Leben und in einer Beziehung spielt. Und das klappt mit meinem jetzigen Partner wunderbar. Es ist nicht so, dass wir nur zu festen Zeiten spielen und immer genau Spielanfang und -ende definieren. Im Gegenteil, es gibt immer mal Momente, in denen SM mehr oder weniger aufblitzt oder es kommt durchaus auch zu einem spontanen Spiel. Aber es gibt eben auch genug Zeiten in denen wir einfach eine ganz "normale" Beziehung führen. Und der Vanillasexanteil ist wieder wesentlich höher *g*. Manchmal haben wir einfach nur Lust, mal kurz miteinander zu poppen. Eigentlich ging ich, nachdem ich in die SM-Szene kam, davon aus, dass mir nur noch SM gefallen würde und ich Vanillasex einfach langweilig finden würde. Inzwischen mag ich ihn wieder ziemlich und manchmal haben wir auch einfach nur darauf Lust.

Drittens sind die Spiele wesentlich sexueller geworden. Das waren sie teilweise auch schon vor dieser Beziehung, aber jetzt spielt Sex immer eine sehr große Rolle, auch der Anteil von sexuellem Topping ist wesentlich größer als früher. Viertens lebe ich zum ersten Mal richtig meine Topseite aus. In meiner ersten SM-Zeit hielt ich mich fuer 100% Sub und spielte auch nur als Sub. Je länger ich dann in der SM-Szene war und je mehr ich als Sub spielte, umso mehr wollte ich auch mal toppen. In meinen ersten beiden SM-Beziehungen war das aber nicht möglich und danach mit relativ fremden Spielpartnern traute ich mich dann nicht so richtig. Erst mein jetziger Partner gab mir die Sicherheit, dass ich ihn total unbefangen toppen konnte. Inzwischen entwickelte sich die Beziehung mit ihm zu einer Switchbeziehung, in der ich fast genauso oft toppe wie er. Und was am überraschendsten ist, ist, dass sich das Toppen eben nicht nur auf Fesselspielchen und etwas sexuelles Toppen beschränkt, sondern dass ich richtig Lust an DS auch als Top gewonnen habe.

Ich denke, dass man sich immer mit jedem SM-Partner verändert und dass sich ebenso, wie man sich als Person weiterentwickelt, auch das SM-Verhalten mit der Zeit ändert, dass man mehr Lust auf das eine, dann mehr Lust auf das andere hat oder etwas nicht mehr so mag, dafür etwas anderes fuer sich neuentdeckt.

Ich möchte eigentlich keine Beziehung mehr mit einem Vanilla-Partner haben. Ausschließen würde ich es nicht, man weiß ja nie, wo irgendwann mal die Liebe hinfällt, aber ich würde es wohl nach Möglichkeit vermeiden. Ich denke, eine solche Beziehung trägt von Anfang an Konfliktpotential in sich, vor allem bei einem wenig aufgeschlossenen Partner. Irgendwann hätte ich das Verlangen nach SM, es würde sich nicht ewig unterdrücken lassen und ich möchte es auch mit meinem Partner ausleben können und mir nicht neben der Beziehung eine Spielbeziehung suchen. Ich hätte aber wohl aber auch keine Freude daran, wenn er es mir zuliebe tun würde. Selbst wenn er SM gegenüber aufgeschlossen wäre, hätte ich ein ungutes Gefuehl, wenn er erst durch mich darauf kommen würde. Ich finde dass man SM nicht einem Partner zuliebe entdecken sollte, sondern sich schon unabhängig vorher damit auseinandergesetzt haben sollte. Ich glaube, ich hätte wohl immer Angst, dass er SM gar nicht wirklich von sich aus machen möchte.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001