Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Interview mit Ingo

 

Die SM-Geschichte kam eigentlich erst später. Angefangen hat alles mit der ganzen Fetischgeschichte. Das Outfit hat mich schon immer interessiert, das hat mich fasziniert, auch schon zu der Zeit, wo man überhaupt erst mal entdeckt, daß es sowas wie Sex gibt. Erst mal war das auch gar nicht damit verbunden, aber irgendwann dann doch. Da hat mich das dann immer fasziniert: erst mal nur glänzender Stoff, dann Leder, und darüber bin ich dann auf diese Gummisachen gekommen. Und darüber, also über die Vorstellung von Gummiklamotten, oder auch Bondage in Gummi, bin ich dann ein Stückchen weiter dazugekommen.

Das erste Mal hab ich mich eigentlich selber gewundert, als ich mit meiner einen Freundin Sex hatte und ich mich heftig in ihren Rücken gekrallt habe, und mich das ziemlich angemacht hat. Da hab ich gesagt, huch, was ist das denn? Eigentlich hab ich mich erst nur über sie gewundert, daß sie das so gut vertragen kann. Ich hab gedacht, wenn ich das wäre, dann wär ich jetzt schon aus dem Bett gehüpft. Wobei das bei mir aber auch nicht bewußt, sondern eher unbewußt war und mir erst richtig bewußt wurde, als ich ihren Rücken hinterher gesehen hab und da wirklich das Blut runterlief. Ich dachte so, oh Scheiße, was ist das denn! Naja, aber sie hat sich auch nicht beschwert darüber. Das hat mir ziemlich zu denken gegeben, muß ich sagen. Da hab ich erst mal selber so ein bißchen Panik gekriegt. Auf jeden Fall wiederholte sich das dann, wurde aber nicht mehr, sondern eher weniger, es flaute dann eher ein bißchen ab. Da war auch gar keine Rede von SM, da wußte ich überhaupt nichts von SM. Diese Fetischgeschichte war mir natürlich klar, weil ich eben schon seit Jahren da irgendwie was mit im Sinn hatte. Ich hatte dann eben auch versucht, sie da irgendwie draufzubringen, und das ist dann gründlich fehlgeschlagen, obwohl sie vorher gerne Leder- und auch Lackklamotten getragen hat. Aber in dem Moment, wo ich das Kind beim Namen genannt habe, war es ganz schrecklich und sie hat diese Sachen seitdem nie wieder angezogen. Völlig lächerlich. Letzten Endes haben wir uns nach zehn Jahren dann auch getrennt.

Dann hab ich das aber auch währenddessen schon verfolgt, ich bin zu den ersten Parties gegangen. Erst mal hab ich mich eben nur selbst gewundert und wußte auch selbst gar nicht, was ich damit anfangen soll, aber bei der Fetischgeschichte war ich mir eben ziemlich sicher und da wußte ich auch ganz genau: Das find ich wirklich klasse und das will ich genauer wissen. Und deswegen bin ich dann irgendwann auf den ersten Parties gelandet, da war ich 24 oder so. Und da bin ich natürlich auch das erste Mal mit SM in Berührung gekommen, weil die meisten Leute da eigentlich weniger wegen der Fetischsachen hingegangen sind, sondern die haben da ganz andere Dinge getrieben, die ich dann auch recht faszinierend fand. Und da wurde es dann im Grunde ernst. Da war ich aber noch mit meiner Freundin zusammen, war ich auch noch mehrere Jahre. Und irgendwann ist das aber dann auseinandergegangen. Die ersten realen Erfahrungen, was SM anbelangt, hab ich eigentlich erst in den letzten anderthalb Jahren gemacht. Da hab ich das dann das erste Mal auch wirklich mit einer Frau unter diesem Label auch gemacht.

Ich hatte allerdings vorher noch eine Chatbekanntschaft, aus Chatworld, diesem Fetischchannel - ein Jahr lang haben wir gechattet wie die Wilden, und das hat erst mal nur im Kopf stattgefunden, wie das wohl bei den meisten so ist. Ich hatte mit Computern schon irgendwie rumgespielt und alle redeten vom Internet - ich wollte auch wissen, was das Internet ist und dachte, jetzt werd ich mir so ein Modem holen und dann werd ich das ausprobieren. Dann hab ich das Internet eigentlich erst mal nur für Mails benutzt, und um mir irgendwelche technischen Sachen für den Job zu holen. Alle haben vom Chat geredet, und ich dachte: Chat? Was ist Chat? Das muß ich mir ankucken, und fand das totenlangweilig. Ich hab da reingekuckt und dachte, das sind nur Schwachsinnige, die irgendwie "boh" und "hallo" und "ich geb jetzt einen aus" machen, naja, diesen ganzen Blödsinn halt, den man im Chat einfach nur liest, wenn man nicht weiß, was in den Nebenräumen abläuft. Davon wußte ich ja erst mal auch nichts, als absoluter Internetdummy. Dann bin ich irgendwann mal nachts um zwei aus dem KitKat-Club gekommen und dachte, hm, Langeweile, ach, kuckste mal, was nachts im Chat passiert. Und hab dann also in diesen Kanal reingekuckt, und da war richtig was los. Und dann hab ich also diese Frau kennengelernt, die wohl auch das erste oder zweite Mal drin war, wir haben uns unterhalten und dann ging das dermaßen schnell los, ich wußte gar nicht, wie mir geschieht, und das ging bis um vier oder fünf, bis der Rechner irgendwann abgeschmiert ist. Damit fing es an, und wir haben uns immer wieder getroffen, wir haben uns dann auch richtig im Chat verabredet. Das war aber dann nicht nur Chat, wir haben dann auch Briefe geschrieben, also erst mal Mails geschrieben jede Menge, da gibts eine Riesenmailsammlung, den Ordner hab ich noch, das waren bestimmt 500 Mails hin und her, und dann später eben auch einen Briefwechsel. Der Witz war auch, daß wir über ein Jahr lang nicht voneinander wußten, wie wir aussehen, es hat sich so ergeben, daß wir uns kein Bild geschickt haben, nichts. Wir haben uns dann getroffen, aber nicht so sehr erschreckt.

Man lernt sich beim Chatten auch ziemlich gut kennen, gerade da lernt man sich gut kennen, denk ich, und man lernt auch den Partner ganz anders kennen, als man jemanden im realen Leben kennenlernt. Man zäumt das Pferd ja von hinten auf. Ich hab von dieser Frau nach einem halben Jahr Chatten, oder, ach, eigentlich schon nach einem Monat Chatten mehr gewußt, als ich von meiner Freundin, mit der ich zehn Jahre zusammen war, bis zum Ende erfahren habe. Das hat mich so fasziniert an der Sache.

Ich hätte weniger ein Problem damit, irgendjemandem zu erzählen, daß ich SM spannend finde, da hatte ich im Freundes- oder Bekanntenkreis überhaupt keine Schwierigkeiten. Aber ich hab heute noch Probleme damit, jemandem zu erzählen, daß ich diesen Fetisch Latex habe, da hab ich ein Problem mit, witzigerweise, immer noch. Woran das liegt, keine Ahnung. Die Leute können das noch weniger verstehen, glaube ich. Da wird man noch eher in die Ecke eines psychischen Schadens gestellt ... SM kann man zur Not noch als Modewelle verbuchen, das wird eher noch anerkannt. Deshalb binde ich den Leuten das nicht so auf die Nase.

Aufgefallen ist es mir erst mal, daß es mich schon vom Ankucken her begeistert hat. Wenn eine Frau eine Lederhose anhatte, musste ich einfach hinkucken. Auslöser gabs da, denke ich, keinen. Ich hab natürlich drüber nachgedacht, wo kommt das her, warum ist das so? Ich hab das mal so in Eigenforschung versucht rauszukriegen und hab dann festgestellt, dass zumindest im Bekanntenkreis achtzig Prozent der Männer das eigentlich alle gut finden, sich aber keiner traut, das zu sagen. Und dass ich vielleicht einfach gemerkt hab, Mensch, das findest du toll, das sieht auch gut aus, das möchtest du gern näher wissen.

Was mich dann noch bestärkt hat, war, dass eben meine Exfreundin das bis zu dem Zeitpunkt, wo ich's dann eben beim Namen genannt habe, auch völlig faszinierend fand, auch an sich selber. Sie hat das wirklich viel und gern getragen, und teilweise auch beim Sex, obwohl sie andere Klamotten sonst gleich ausgezogen hat, sie fand das alles ziemlich toll. Und als ich's dann beim Namen genannt hab und meinte, also ich steh dazu und gesagt habe, du nämlich auch, da war's vorbei. Da war's im Grunde auch mit dem Sex vorbei. Komplett. Sie hatte dann den Eindruck, ich will nicht sie, sondern ich will nur das Material ... diese alte Leier. Das hat sie nicht aus dem Kopf rausgekriegt, und damit war die Beziehung im Grunde im Eimer, was ich heute noch sehr, sehr schade finde.

Und der Witz ist einfach auch, ich dachte ja auch immer, dass diese Fetischgeschichte eher Männer sind und dass es da kaum Frauen gibt. Und was mich dann ziemlich beruhigt hat, war, dass diese erste Frau, die ich da im Chat kennengelernt hatte, auch absolut auf Gummiklamotten stand und nun versuchte, ihren Mann davon zu überzeugen. Das hat mich beruhigt, weil ich auch immer dachte, oh Mann - man hat natürlich auch diese Gedanken - bin ich jetzt völlig pervers oder was? Und vor allem war der zweite Gedanke, du wirst niemals ne Frau finden, die auf sowas steht. Das ist ja immer so dieser Gedanke, den man immer hat, also auch bei SM: Du wirst niemals jemanden finden, der solche komischen Gedanken auch hat. Und erst dadurch, dass ich diese Frau kennengelernt habe im Chat, das hat mir auch so einen Kick gegeben, dass ich gesagt habe, Moment, das geht alles. Das ist alles gar kein Problem, und das will ich jetzt genau wissen.

Das hatte ich mal irgendwo gelesen, dass Fetischisten fast alles Männer sind und dass es da vielleicht so zehn Prozent Frauen gibt. So viel dazu gelesen hab ich anfangs allerdings erst mal nicht. Ich war erst mal damit beschäftigt, zu überlegen, wo kriegt man solche Klamotten her. Dass für den Fetischisten das Material wichtiger ist als die Person, nee. Das stimmt vorne und hinten nicht, oder bei mir zumindest ist das nicht so. Entweder es geht mit jemandem, dann geht's auch ohne. Oder es geht nicht, aber dann geht's auch mit nicht.

Zuerst war's mir auch egal, ob es jetzt irgendwie Leder, Kunstleder, Lack war - Gummi siehst du auf der Straße sowieso nicht - da hab ich angefangen, mich für die Materialien an sich zu interessieren. Bis ich dann irgendwie auf Gummiklamotten gekommen bin. Ich hab das angefasst und das war einfach sowas von faszinierend, und wenn man das einmal getragen hat, das muss man einfach ausprobiert haben, das kann man auch nicht beschreiben. Einerseits ist es ein ganz eigenes Gefühl, Gummi anzufassen, das kannst du mit nichts anderem vergleichen. Und andererseits, wenn du das trägst, und es berührt dich einer, hat das auch eine verstärkende Wirkung, obwohl eine Schicht dazwischen ist.

Meine Freundin ist da ein gutes Beispiel für, die, bevor sie mich kennenlernte, überhaupt nichts von irgendwelchen Gummiklamotten wusste. Sie wusste eigentlich auch gar nicht, dass ich auf sowas stehe und konnte sich da auch nichts drunter vorstellen. Ich hab ihr dann durch die Blume gesagt, dass ich es faszinierend finde, das zu tragen und dass das ein ganz besonderes Gefühl ist, und dann hab ich ihr halt diesen Body angedreht. Und auf einmal ging in ihr was ab, was sie sich gar nicht erklären konnte. Seitdem hat sie bestimmt für zweitausend Mark Gummiklamotten gekauft - das sagt eigentlich alles. Da muss man gar nichts weiter anfügen.

Ich hab mich natürlich auch gefragt, wo kommt das her, was ist da schiefgelaufen? Das hab ich nicht von meinen Eltern eingeimpft gekriegt, sondern eher von der Gesellschaft. Aufklärung hat bei uns nie stattgefunden, die ist sowohl in der Schule ausgefallen als auch im privaten Bereich. Und wenn, dann wäre das da nicht vorgekommen. Dann hätte man höchstens durch die Aufklärung ein ganz bestimmtes Bild mitgekriegt und festgestellt, das passt da gar nicht rein. Aber nicht mal das hab ich gekriegt, insofern können meine Sorgen da auch nicht herkommen. Lustigerweise hat meine Mutter offensichtlich mal so einen Gummikatalog gefunden, als ich noch zu Hause gewohnt hab, weil einer war dann weg. Ich hab immer darauf gewartet, dass sie mich nun darauf anspricht, aber das ist nie passiert. Ich war so siebzehn und hatte den Katalog bestellt, und da ich morgens auf dem Weg zur Schule immer als erster am Briefkasten vorbeikam, hab ich jeden Tag danach gekuckt. Wahnsinnig spannend natürlich, logisch. Und diesen Katalog hab ich dann unsinnigerweise mal irgendwo liegen gelassen, schlampig wie ich bin, und der verschwindet einfach nicht von alleine, klar. Dann hab ich immer drauf gewartet, dass irgendwas käme, kam aber nie was, das war ganz lustig. Nee, in dem Moment war das gar nicht lustig, das ist nur im Nachhinein betrachtet lustig. Ich dachte, meine Mutter wird mich bestimmt fragen, warum ich denn sowas bestellt habe, und ich hätt's ihr auch nicht sagen können, ich hätt es ihr nicht plausibel machen können. Könnt ich heute noch nicht. Ja doch, natürlich, heute kann ich sagen, ich find das toll, und damit gut. Fertig ist die Geschichte, da muss ich nicht diskutieren.

Ich würde heute einer Frau, die ich kennenlerne, wenn sie schon aus unserer Ecke kommt, das wahrscheinlich direkt sagen, und wenn ich jetzt so die Verkäuferin beim Bäcker kennenlernen würde, die würde das wahrscheinlich schon mitkriegen, wenn sie das zweite Mal in meiner Wohnung ist. Die einen sehen das ja immer als Kleiderständer im Schlafzimmer, die beiden Ketten, und die anderen wissen, was das ist. Ich finde das ganz witzig bei Bekannten, denen ich noch nichts davon erzählt habe, und anfangs war das ja schon so, dass es viele noch nicht wussten: Die einen wussten gleich, wofür die Dinger sind und die anderen sagten: Geiler Kleiderständer.

Für mich war der Beweggrund, mich zu outen, eigentlich der, dass ich keine Lust hatte, irgendwelche Geheimnisspielchen zu machen. Zum Beispiel wenn ich jetzt am Sonntag zum Treffen gehe und es ruft mich jetzt Kai, ein guter Kumpel von mir, an und fragt "Was machst du denn Sonntag?" sag ich "Du, da bin ich beim Frühstück." Dann fragt er, mit wem, oder wo, ist einfach so. Und dann hab ich keine Lust, mir irgendwas auszudenken. Das ist einfach Faulheit, im Grunde. Bei meiner Mutter im Grunde auch. Ich hatte keinen Bock, irgendwelche Lügengeschichten zu erfinden, um mich bloß nicht zu verplappern. Oder wenn hier in der Bude irgendwas rumliegt, ne Peitsche oder ne Handschelle, was bei meiner Schlampigkeit schon mal passiert, mir dann jedesmal mit halbrotem Kopf zu überlegen, was erzähl ich denn jetzt, warum das da rumliegt? Oder es hängen irgendwelche Latexklamotten im Bad zum Trocknen und es klingelt jemand, hallo, wollen wir ein Bier trinken gehen, ich muss nur mal eben aufs Klo. Zack. Dann ist es schon zu spät. Und deswegen hab ich gedacht, egal. Ich hab's nicht jedem gleich auf die Nase gebunden, aber ich hab teilweise dann mit Absicht das Gespräch in die Richtung gelenkt, wie der überhaupt grundsätzlich dazu steht. Und wenn ich gemerkt hab, er ist offen dafür, hab ich das dann auch gesagt. Von einem Bekannten kriegte ich einen sehr interessanten Kommentar dazu - da lagen hier die "Bösen Geschichten" rum - da ist so eine Frau drauf mit einem Rock, ganz raffiniert beleuchtet, mit Intimpiercings, aber da musst du erst dreimal hinkucken, bevor du das siehst. Und er hat das auch erst mal nicht gesehen, aber seine Frau hat es gesehen und meinte "oh, das ist ja geil". Und dann kuckt er hin, und der einzige Kommentar dazu war: "Naja, wer's braucht." Damit war für mich das Thema dann gestorben und ich hab mich zusammengerissen und nichts weiter dazu gesagt. Als ich dann mit seiner Frau irgendwann alleine war, hat sie mich ausgefragt ohne Ende und fand das total faszinierend.

Bei meiner Mutter war der Grund derselbe, dass ich keine Lust hatte, ihr immer irgendwas zu erzählen, wo ich nun wann bin. Wir haben einen recht guten Kontakt, und deswegen hab ich mich im Grunde auch getraut. Weil wir einfach ein sehr gutes Verhältnis haben, und da dachte ich, das muss es jetzt auch noch aushalten. Irgendwie wollt ich's auch wissen. Ich für mich selber war jetzt eigentlich schon so weit, daß das auch im Freundeskreis genug wußten, so daß ich langsam auch damit rechnen mußte, daß es vielleicht auch mal über andere Ecken da hinkommt, aber das war nicht unbedingt der Grund. Ich wollte eigentlich am Wochenende zu ihr fahren, und dann sagte ich, ach nee, kann ich ja nicht, da bin ich ja bei dem SM-Frühstück, das ist mir so rausgerutscht. Und sie: "Wo?" - "Ja, bei dem Frühstück." Scheiße. Und dann hat sie auch nochmal nachgefragt, bei was für nem Frühstück? Und dann sag ich, paß auf, erzähl ich dir mal bei Gelegenheit. Dann hab ichs ihr dummerweise auch noch am Telefon und nicht Auge in Auge erzählt, daß ich eben da ein paar Leutchen kennengelernt hab und diese SM-Geschichte mich interessiert und so weiter, und da ist bei ihr erstmal absolut der Vorhang gefallen, da war wirklich alles vorbei. Es ging von "mit dir rede ich nicht mehr" bis "ich enterbe dich" und "wir kennen uns nicht mehr". Das gesamte Programm. Sie war völlig geschockt, hat dann auch aufgelegt - meine Mutter legt normalerweise nie auf beim Telefonieren, aber da hat sie aufgelegt. "Au scheiße", dachte ich, "was hab ich jetzt erzählt?" Aber gut, du kannst es ja nicht mehr rückgängig machen, es ist passiert. Damit ging's dann los, und dann hab ich versucht, das so ins rechte Licht zu rücken und sie von diesem Bild, das man von RTL2 kennt, abzubringen, im Grunde mich zu rechtfertigen, warum ich das tue. Was man ja eigentlich nicht müßte, aber ich wollte ihr irgendwie zumindest ein bißchen verständlich machen, was einen daran reizen könnte. Dann hab ich diesen Datenschlag-Text kopiert - "Sadomasochismus - Was ist das?" - und hab's ihr gefaxt, das war auch nicht wirklich schlau. Danach war dann alles noch schlimmer. Sie hat das gelesen, und das konnte sie nun überhaupt nicht verstehen.

Danach war dann zwei, drei Wochen Funkstille und ich hab dann so nach und nach, so ganz langsam immer mal so angerufen, ob's denn schon vielleicht ein bißchen besser wär, und dann war sie zumindest von dem Enterben wieder weg und ich durfte sie auch mal wieder besuchen. Und dann war ich auch mal da, wobei das Thema da eigentlich nicht zur Sprache kam. Das Schwierigste war, ihr zu versichern, daß ich immer noch derselbe bin, der ich seit dreißig Jahren bin. Sie war der Meinung, daß ich ihr seit dreißig Jahren einen Menschen vorgespielt habe, der ich nicht bin, und daß sie sich so getäuscht hat. Das Schlimmste war natürlich, daß sie sich wie wahrscheinlich alle Eltern überlegt hat: Was hab ich bloß falschgemacht? Das war natürlich ihr erster Gedanke. Was hab ich in der Kindheit falschgemacht, daß das Kind jetzt Frauen schlagen will? Wobei sie ja noch nicht wußte, ob ich Frauen schlagen will oder ob ich mich von Frauen schlagen lassen will oder wie auch immer, das war ja noch nicht so unbedingt klar. Was haben wir falschgemacht? Das hab ich ihr dann erst mal in mühsamer Kleinarbeit ausreden müssen, daß sie da irgendwas falschgemacht hätte, wobei ihr vielleicht - aber den Alzheimer hab ich geerbt - hätte wieder einfallen können, daß sie irgendwann diesen Latexkatalog bei mir gefunden hat. Das hab ich mir aber dann verkniffen, das dann noch obendraufzupacken und dachte, das reicht jetzt erstmal, jetzt muß ich nicht auch noch damit anfangen.

Und dann hats eine ganze Zeit gedauert, dann war sie erst mal so zumindest nach außen hin erst mal drüber weg, es war erst noch ein kühles Verhältnis, inzwischen dann wieder ein normales Verhältnis, wie mir schien, also meiner Mutter merkt man das sehr schnell an, ob das dann wieder ok ist. Dann war ein paar Monate Ruhe, wir haben ganz normal wieder telefoniert und miteinander gesprochen, ich war auch da. Und dann fing sie jetzt vor ein paar Wochen nochmal an und wollte es dann nochmal genau wissen und fragte dann auch, ob denn meine Freundin auch ... und überhaupt ... und dann hab ich ihr das also nochmal auseinandergetüdelt. Dann meinte sie, na gut, ihr Ding wär das nicht, aber wenn das unser Ding ist, dann sollen wir das mal machen. Sie will nun nicht ihren Segen dazu geben, aber wenn wir meinen, daß das für beide okay ist, dann, ja. Was sie sehr interessiert hat und was sie dann doch unbedingt noch bestätigt haben wollte, daß ich auch an normalem Sex Spaß habe. Ich hab gesagt, das ist wie Hamburger essen und ein Drei-Gänge-Menü, das macht beides Spaß. "Hm. Aha. Meinste." Ich sag: "Ja, ich geh gern mal nen Hamburger essen." - "Hm. Na gut." - "Aber ein Drei-Gänge-Menü ist auch nicht schlecht. Aber wenn ich immer nur Drei-Gänge-Menüs hab, will ich auch wieder nen Hamburger." - "Ja doch, das hört sich ja ganz gut an." Naja, damit ist das Thema, glaub ich, jetzt erledigt. Das Witzige war dann, sie hat ja jetzt seit einem Jahr Internet und hat natürlich dann doch intensiv geforscht. Neulich sagte sie dann auch: "Ach so, ihr trefft euch immer, im Café Chagall, immer sonntags, hab ich schon gesehen! Und ihr habt da jetzt auch ein Einsteigertreffen ...", das hat sie auch schon entdeckt. Ich hab ihr dann auch gesagt, wo die Fotos von den Leuten sind, damit sie sieht - warum die da ja auch sind: kuck mal, das sind ganz normale Leute. Ich hab ihr dann auch erklärt, daß ich eben da auch nicht nur Leute getroffen hab, die SM machen, sondern daß ich einfach unheimlich nette Leute kennengelernt habe und daß ich dadurch auch neue Freunde getroffen habe und wir eben auch sonst was zusammen unternehmen. Ich hab versucht, es eben auch als so normal wie möglich darzustellen, was es ja nun inzwischen zum Glück für mich zumindest auch ist.

Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo wieder alles ist wie vorher, und das war auch im Grunde das, was ich erreichen wollte, daß sie es nicht versteht, aber akzeptiert. Ihr zweitgrößtes Problem war, daß sie sich absolut nicht vorstellen kann, daß das irgendwie Spaß machen könnte. Das hab ich ihr dann versucht zu erklären, dann machte sie so einen leichten Anschein von Verstehen, aber nee, sie wehrt sich halt auch irgendwie dagegen, denk ich mal. Aber immerhin sind wir eigentlich so weit gekommen, wie ich kommen wollte.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001