Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
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und noch ein paar mehr.

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Aus dem Nähkästchen

Heikos Bericht

(Dieser Bericht ist außerdem unter www.smalltag.de veröffentlicht)

 

Es ist für mich schwierig, genau den Zeitpunkt zu identifizieren, an dem mein Interesse an SM begann. Ich habe recht frühe (ca.15/16) Erinnerungen an "Randbereiche": die Faszination, Frauen in Schuhgeschäften beim Ausprobieren von (im Idealfall hochhackigen) Schuhen zuzuschauen, oder sexuelle Phantastereien, in denen die erwachsenen Nachbarsfrauen die Haupt- bzw. aktive Rolle spielten und ich mehr oder weniger vernascht wurde :). Zu diesem frühen Zeitpunkt war ich mir aber wohl nicht über den SM-Aspekt der Angelegenheit bewußt. Was folgte, war eine stetige Annäherung an das Thema, und eine wachsende Bewußtwerdung, welcher Art meine Phantasien eigentlich waren.

Das einzige "Ereignis", an das ich mich erinnern kann, und das ich grob zeitlich einschätzen kann, geschah, als ich ungefähr 22 war: eine Freundin (auf der Beziehungsskala zu diesem Zeitpunkt irgendwo in der Mitte zwischen "einer Freundin" und "der Freundin" einzuordnen) besuchte mich, und preßte zwischen ihrem Daumen und Zeigefinger den Sehnenbereich an der Hand zwischen meinem Daumen und Zeigefinger zusammen, wohl bewußt, das dies schmerzhaft war, und in der Absicht, Grenzen auszuloten. Ich weiß nicht mehr, wie ich damals konkret reagiert habe; was ich weiß ist, daß ich einerseits den Vorgang genossen habe, und daß ich andererseits dies vielleicht zugegeben hätte, wenn sie wirklich "die Freundin" gewesen wäre - so aber kam das damals nicht in Frage.

Über kurz oder lang wurde ich mir bewußt, daß ich in meinen sexuellen Phantasien mit Vorliebe die Sub-Rolle ausfüllte; das ging so weit, daß ich mir selbst Schmerzen zufügte. Dabei war meine eigene Haltung zu diesem Interesse sehr zwiespältig: auf der einen Seite war es ein gewohntes Gedankenspiel, das ich z.B. durch Anschaffung einschlägiger Literatur/Heftchen beflügelte; auf der anderen Seite stand ich mit solchen Gedanken in meiner Umgebung anscheinend völlig allein, und fand demzufolge das ganze "nicht normal". Ich habe nie Probleme damit gehabt, mich dazu zu bekennen, anders zu sein als andere, und Gruppen und ihren konsolidierten Ansichten gegenüber Distanz zu wahren; mein Interesse an SM ging aber doch über das gewohnte Maß an "Anders-Sein" hinaus, und zusätzlich war es ein Phänomen, dessen Intensität zeitlichen Schwankungen unterworfen war: ohne festen Rhythmus mal ein oder zwei Monate mehr, und dann auch wieder einige Monate weniger, zum Teil korrespondierend mit Beziehungen, die mich auf andere Gedanken brachten.

Kurzum: meine Neigungen in diesem Bereich wurden von mir in ein "Kästchen" im symbolischen Sinne gepackt. Sie waren da, das war nicht zu leugnen; ich sah sie aber als Form der Auslebung von Phantasien, und potentiell obsolet in dem Moment, in dem ich in einer funktionierenden Zweierbeziehung aufgehen würde. Letztlich hatte ich erhebliche Zweifel, ob diese Phantasien sich erfolgreich in die Realität übertragen lassen würden, selbst angenommen, daß sich eine Gelegenheit dazu gefunden hätte - die mögliche Diskrepanz zwischen Träumen, in denen die "Unannehmlichkeiten" alle wohl dosiert und genau zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Form kamen, und einer realen Situation, in der nun nicht von echten Schmerzen hier, oder einem Jucken da, abstrahiert werden konnte, war mir sehr bewußt. Ich unternahm daher keinerlei Anstalten, meine Phantasien in die Realität umzusetzen.

Diese passive Handhabung des Themas (wenn man das so nennen kann) dauerte Jahre; sie fand aber Mitte 1996 dann ihr Ende. Ende Juli 1996 bekam ich meinen privaten Anschluß ans Internet. Das Internet führte innerhalb kurzer Zeit (weniger als 2 Monaten) zu einer völligen Revision meiner Haltung gegenüber meinen eigenen SM-Phantasien. In den Jahren zuvor hatte ich SM als etwas eingeordnet, das sich in meiner Phantasie und in Unter-der-Ladentheke-Heftchen, die offensichtlich darauf ausgerichtet waren, aus den Phantasien von Leuten wie mir Geld zu machen, abspielte. Nun wurde ich auf dem Internet plötzlich damit konfrontiert, daß es jede Menge Leute gab, die nicht nur ähnliche Phantasien wie ich hatten, sondern diese darüber hinaus akzeptierten und mit ebenso orientierten Partnern auslebten; Leute, die sich mehr oder weniger öffentlich dazu bekannten, und für die das mit Schmuddelsex nun überhaupt nichts zu tun hatte. Mir wurde bewußt, daß meine Ablehnung meiner eigenen Phantasien durchaus voreilig gewesen sein konnte.

Das Akzeptieren meiner eigenen sexuellen Vorstellungen war der erste Schritt; mir wurde aber bald klar, daß ich mich auch beim Surfen im WWW weiterhin nur in einer Phantasiewelt befand (wenn sie auch für andere real sein mochte). Um zu überprüfen, inwieweit diese Phantasien für mich in Realität umzusetzen waren, benötigte ich den Kontakt zu (und die Hilfe von) konkreten Personen. Dafür sah ich auf Anhieb zwei Ansatzpunkte: Kontaktknüpfen über das Internet einerseits, und die Kontaktmöglichkeiten unabhängig vom Netz in meiner unmittelbaren räumlichen Umgebung. Fangen wir mit dem fehlgeschlagenen Versuch an. Um mich in der Sub-Position selber zu erfahren, buchte ich einen Termin mit einer Frau, die in einem unserer Stadtblättchen als professionelle Domina inserierte (nebenbei bemerkt auch meine erste eigene Erfahrung mit bezahltem Sex). Das Ergebnis war völlig unbefriedigend: anstatt überzeugend Dominanz zu verkörpern vermittelte diese Frau den Eindruck, nach Durchlauf eines 1-wöchigen SM-Technik-Kurs vom Beruf der normalen Prostituierten ins trendy Domina-Milieu umgeschwenkt zu sein. Das ganze Szenario wirkte als Pflichtübung, Schläge waren so gut wie rein symbolisch, und andauernd wurde ich gefragt, ob es mir denn so auch recht sei, oder ob ich lieber dieses oder jenes wollte. Vielleicht tue ich dieser Frau Unrecht: ich hatte mich im Vorfeld als Anfänger zu erkennen gegeben, war recht nervös, und es mag ihre Angst gewesen sein, mich zu überfordern, die sie inkompetent erscheinen ließ. Meine Konsequenz daraus war jedenfalls der Entschluß, das professionelle Milieu vorerst zu ignorieren, und ausschließlich Kontakte zu Leuten zu suchen, die SM aus eigener Überzeugung und nicht aus finanziellen Interessen heraus betrieben.

Umso erfolgreicher im Vergleich waren meine Versuche, über das Internet zu Kontakten zu kommen. Anfang November besorgte ich mir mIRC32 und stürzte mich ins Chatten über IRC. Der erste Channel, auf dem ich Stammgast wurde, war der #femdom-Channel im UnderNet. Dies lag im wesentlichen daran, daß ich zum einen auf dem WWW schon jede Menge Hinweise darauf gesehen hatte, zum zweiten, daß dies nun genau das Thema war, das mich am meisten interessierte, und daß ich zum dritten zu diesem Zeitpunkt von der Existenz eines deutschen Channels noch nichts wußte. Daß die Sprache auf #femdom Englisch war, war für mich nur ein geringeres Handicap. Ich denke, daß die Gespräche auf #femdom bei mir die letzten Hürden abgebaut haben. Die offene, freundschaftliche Form, mit der das Thema dort behandelt wurde, wenn man sich erst einmal als nicht-HNG ("horny net geek") eingeführt hatte, beeindruckte mich und war sehr hilfreich.

Eines allerdings wurde dann doch sehr deutlich: die Stammgäste von #femdom sind zu 80% Amerikaner, zu weiteren 15% Leute aus englischsprachigen Ländern wie England, Kanada oder Australien, und der kleine Rest war geographisch weit verstreut, so daß Deutsche wie ich die Ausnahme waren. #femdom war und ist für mich ein guter Channel für Gespräche; für RL-Kontakte dagegen gab er für mich nichts her. Anfang Dezember fing ich also an, gezielt nach deutschen Alternativen zu #femdom zu suchen, und landete auch innerhalb relativ kurzer Zeit dann bei #bdsm.de. So ungefähr das einzige, was ich an dem Channel nicht mag, ist das, was er meiner Telefonrechnung antut; IRC ist halt suchterzeugend.

Auf diesem Channel fühlte ich mich von Anfang an wohl, und vor allem: dort waren Leute, die nicht nur anonym rumalbern wollten, sondern die offensichtlich Spaß daran hatten, ihre IRC-Gesprächspartner auch mal im wirklichen Leben kennenzulernen. Und noch praktischer für mich: eine Art halboffizieller Treffpunkt dieser Leute war eine SM-Fete in Köln namens Carpe Noctem, nur ca. 80 km von mir entfernt. So tauchte ich dann am 1.2.99 auf der Carpe Noctem auf - ein halbes Jahr vorher hätte ich meine Anwesenheit auf einer SM-Party noch für sehr unwahrscheinlich gehalten :). Und ich wäre wohl auch nicht hingegangen, wenn da nicht die Leute vom Channel gewesen wären; diese mal zu treffen war mein Hauptinteresse, und mit mehr als 20 anwesenden Leuten vom Channel war das auch erfolgreich.

Die Leute selbst waren als Gruppe wie erwartet: ne bunt gemischte Truppe unterschiedlichster Personen, nett und mehr oder weniger aufgeschlossen. Daß sich das Bild, das ich mir von den jeweils einzelnen auf dem Channel gemacht hatte, ändern würde, war mir vorher schon klar gewesen, und natürlich gab es sowohl positive als auch negative Verschiebungen auf der jeweiligen individuellen Sympathieskala. Die Party als solche, oder besser gesagt, das öffentliche Spielen war natürlich ausgesprochen interessant für mich. Es war schon ungewohnt, als Zuschauer bei der Auslebung der sexuellen Phantasien anderer Leute zugelassen zu sein, soweit sich diese nicht hinter den zugezogenen Vorhängen abspielten.

Dabei hatte bei dieser ersten Party das Zuschauen selbst kaum direkte sexuelle Reize ausgelöst, sondern war im wesentlichen als Anschauungsunterricht über SM-Techniken von Reiz. Spätere Parties haben dann allerdings meine damalige Einschätzung, ich hätte überhaupt keine Eignung zum Voyeur, wieder etwas relativiert: wenn ich mich sehr gut in ein Spiel reindenken kann, weil es meinen Vorlieben entspricht, dann hat das Zuschauen schon einen erotischen Reiz für mich.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001