Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

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Aus dem Nähkästchen

Chris' Bericht

 

Soweit ich mich an sexuelle Gedanken erinnern kann, sind auch SM-Elemente darin enthalten gewesen. Der Begriff SM kam erst sehr viel später, aber die Phantasien waren eindeutig. Spätestens in der Pubertät haben mich an Pornos eher so Fesseldinge interessiert, die Filme der französischen Filmemacher (Chabrol, Goddard) waren recht inspirierend, liefen sogar im Öffentlich-Rechtlichen ... Beiträge in Neue Revue à la "so wird ihr Liebesleben spannender" haben mich irgendwie mehr angemacht als die Happy Weekend. Die ersten SM-Infos habe ich aus der Bravo (Dr. Sommer), das war okay für mich. Inhaltlich war das ungefähr in der Richtung "solange du sowas 'auch' machst und nicht 'nur', bist du auch normal. Irgendwann bestellte ich bei Orion irgendwelchen SM-Hochglanz-Kram. Zum Aufgeilen taugte es so gerade noch, Infos gab es da nicht. Ich erinnere mich noch an die unsäglichen "100 Rohrstockgeschichten", ich glaube, ich bin über Geschichte 10 nicht hinausgekommen. Irgendwann habe ich mal Crepax Comic von Geschichte der O. gelesen. Mein Intellekt sagte "aha, Kunst", mein Geschmack sagte "bullshit", mein Schwanz sagte gar nichts.

Mein erster Sexshopbesuch brachte immerhin ein paar Bondagemagazine, bei denen im Vorwort stand "alles freiwillig" (mein erster Kontakt zu SSC) und ein paar Dominamagazine. Was am ehesten noch Infos brachte, war das Club Caprice und das schweizerische Sadanas. Das waren, bis ich von den Schlagzeilen erfuhr, die ersten Quellen, die nicht nur als Wichsphantasien taugten, und die Wichsphantasien, die da drin waren, waren immerhin besser als meine anderen Fehlkäufe ... ich kaufte damals immer brav ein Happy Weekend dabei, damit der Kasse nicht auffiel, daß ich nur SM-Hefte kaufte ... Nach dem 20. Sexshopbesuch fand ich endlich auch einen, wo es die Schlagzeilen gab. Da war eine Adresse einer Mailbox drin, und das Internet hatte mich gefangen ...

Darüber bekam ich dann den Kontakt zu Smart Rhein-Ruhr. Der persönliche Kontakt ermöglichte es mir dann endlich, die Infos zu bekommen, die ich haben wollte. Das war damals Infos über Safer Play, Spieletips und Einkaufstips. Die gedankliche Auseinandersetzung begann für mich erst in der Gruppe und dauert bis heute an. Ich weiß noch, daß ich, als ich zu Smart kam, Schwule politisch korrekt gedacht okay fand, aber Höllenangst hatte, selbst für einen Schwulen gehalten zu werden. Transen und so ein Kram war jenseits meines Verständnisses, 24/7, Petgames und andere Randgebiete erzeugten heftiges Kopfschütteln bei mir. Ich bin das erste Mal in eine Gruppe gegangen, die recht weit von meinem Wohnort entfernt war, damit mich ja keiner erkennt.

Ein Coming-Out hatte ich insofern bis heute noch nicht, daß ich mich ungern als Sadomasochist bezeichne. Ich gehöre zur Fraktion "wie immer du es auch nennen magst, Hauptsache es fühlt sich gut an". Wenn es geht, sage ich deshalb auch nicht "ich bin SMler, aktiv und passiv", sondern so etwas wie "ich lasse mich auch schon mal gerne verhauen". Eine eigene Einschätzung, welchen Anteil in meinen Phantasien und in der realen Sexualität BDSM hat, ist schwer zu sagen. Ich stelle aber fest, daß Zeiten ohne reale BDSM-Aktivität den BDSM-Phantasienanteil wachsen lassen.

Daß meine Neigungen nie problematisch für mich waren, liegt wohl daran, daß mir nie jemand erklärt hat, daß das, was ich im Bett will, pervers ist. Ich bin sexuell also sozusagen unbelastet ins Leben gegangen. Meiner ersten Partnerin zu gestehen, daß sie mich mal fesseln soll, war schon ein Akt, aber sie freute sich eher über das Vertrauen, daß ich ihr entgegenbrachte. Geoutet habe ich mich bei fast niemanden. Es wissen ein paar, daß ich sexuell mehr mache als andere, ein paar andere wissen, daß ich zu so einem Stammtisch gehe, der irgendwas mit Sex zu tun hat, und noch ein paar andere wissen wieder etwas anderes. Ich bin ein paar Mal zwangsgeoutet worden, aber auch da habe ich immer nur gesagt "ja, ich gehöre zu Smart Rhein-Ruhr" oder "ja, ich gehe auf SM-Feten", aber Vorträge über meine Sexualität habe ich nie gehalten. Wenn mich innerhalb der Szene jemand fragt "wenn du deine Freundin schlägst, wie machst du das?" beantworte ich gerne jede Frage. Außerhalb der Szene fragt mich so recht niemand, und bei einem aggressiven Outing fühle ich mich einfach nicht wohl. Ich bin also immer noch nicht der Richtige, um in eine Konzerthallte zu gehen, und den Besitzer zu fragen "kann ich hier eine geile SM-Party veranstalten?".

Werde ich gefragt, warum ich mich nicht oute, sage ich normalerweise, daß es keine Veranlassung gibt, einen bestimmten Teil meiner Sexualität, sei es nun BDSM oder Analverkehr, ins Gespräch zu bringen. So 100% ehrlich ist das nicht. Ich glaube z.B., daß ich in der Tat Angst habe, daß mich meine Nachbarn für einen Perversling halten, daß ich im Beruf Stress bekomme, oder daß meine erzkatholische Vertraute doch kein Verständnis dafür hat. Meinen mittlerweile verstorbenen Eltern habe ich nichts über BDSM erzählt, aber Gespräche über Sexualität fanden bei uns nie statt, ich hätte es nur künstlich empfunden. Gegen meinen Willen wurde ich mehrfach geoutet. Die Reaktionen waren entweder "egal", oder "ich mache das auch". Negative Reaktionen hatte ich bislang keine.

Ich habe keine eigenen geschlechtsspezifischen Erfahrungen gemacht. Meine Szeneerfahrung (Fete und Mailingliste/Channel) zeigt jedoch ein für mich nicht nachvollziehbares Übergewicht Mann: nur Top. Frau: nur Sub. Meine eigene Einschätzung (alle sexuellen Neigungen willkürlich auf die Geschlechter verteilt) bestätigt die pure Statistik also leider nicht. Besonders verwirrend empfinde ich ein "neues" Frauenbild von der "stolzen Sklavin", welches ich in jedem Einzelfall akzeptiere, als gesellschaftliche Strömung aber für Wirklichkeitsflucht halte.

Hat die SM-Subkultur meine persönliche Entwicklung beeinflußt? Ja, hat sie gewaltig. Ob es "die Subkultur" oder eher einzelne, bedeutsame Persönlichkeiten waren, ist schwer zu sagen. Ich bin mehr "ich selbst", was nichts mit Neigungen zu tun hat, sondern eher mit Dingen wie Ehrlichkeit, Fähigkeit "nein" sagen zu können, Rechte durchkämpfen zu können etc. Mein Verständnis für Minderheiten ist gestiegen, meine Bereitschaft, Gefühle zu zeigen ist noch größer geworden. Erwartungshaltungen gingen zurück, und die Fähigkeit wissenschaftlich arbeiten zu können, ist gestiegen. Ich glaube, die Entwicklung, die ich gemacht habe, hätte ich auch bei den Jusos oder den anonymen Alkoholikern machen können, es war aber nun mal die SM-Subkultur.

Meine erste Party:

Ich habe, wie bei meinem ersten Stammtischbesuch, gehofft, daß mich kein Nachbar erkennt. Ansonsten war ich schon Mitglied bei SMart, und kannte deswegen viele Leute. Ich habe mich amüsiert, aber das von allen prophezeite "boah, ist das toll", blieb aus. Anderen beim Spielen zuzusehen, schon schön, aber zur Ekstase fehlte dann doch noch einiges. Was mir an Partys gefällt? Von einigen wenigen Ausnahmepartys abgesehen gefällt mir an Partys nur der Kontakt mit Menschen. Tolle Menschen, tolle Party. Nur Idioten, Scheißparty. Ich halte mich für einen Menschen, der sich gerne auf Erotik einläßt. ich begebe mich gerne mit Menschen, die ich mag, auf eine erotische Ebene. Das meint nicht zwingend gemeinsamen Sex, sondern eher so etwas, wie jemanden in erotischer Kleidung zu sehen, in erotischer Atmosphäre zu sprechen, zu erleben.

Meine Partnerinnen habe ich ausschließlich außerhalb der SM-Subkultur gefunden. Einmal sind wir uns per Brief näher gekommen, einmal war es meine beste Freundin, mit der es nur ein One-Night-Stand werden sollte, und einmal lief sie mir auf einem Zeltplatz entgegen, und es knallte ... Das Thema bringe ich zur Sprache, indem ich sage, was ich will. Also ich sage nicht "hey, ich stehe auf SM", sondern "soll ich dich ans Bett fesseln?"

In Nuancen verändern sich die Praktiken und Phantasien ständig. BDSM ist unspektakulär geworden, das ist alles. Ich bin auf beiden Seiten, ausschließlich ;-) Unterschiede zwischen SM-Beziehungen und Vanilla-Beziehungen halte ich allesamt für künstlich. Aussagen wie "eine BDSM-Beziehung ist viel intensiver" übersetze ich in "meine jetzige Beziehung ist intensiver als meine davor". Allgemeingültige Aussagen halte ich für mutig.

Erfahrung mit der kommerziellen Szene habe ich einige wenige als Kunde, und noch weniger als Anbieter. Das Thema fasziniert mich, bleibt aber wegen anderer noch faszinierender Themen auf der Strecke. Ich wäre, wenn ich Krösus wäre, sicherlich auch heute noch hin und wieder Kunde, und wenn der Beruf anerkannt wäre, auch mit Sicherheit immer noch Anbieter. Kontaktanzeigen habe ich sowohl schon aufgegeben als auch beantwortet. Einige nette Freundschaften sind daraus entstanden.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001