Die Wahl der Qual

 

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Das Inhaltsverzeichnis
nebst einigen Leseproben

Aus dem Nähkästchen
Die ungekürzten Interviews

Nach Redaktionsschluss
Was wir gerne noch geschrieben hätten ...

Für Tippfaule
Alle Links aus dem Buch
und noch ein paar mehr.

Impressum

Aus dem Nähkästchen

Interview mit Birgit

 

Die Sehnsucht, dominiert zu werden oder zu dominieren, steckt in jedem - ich würd jetzt einfach mal den sadomasochistischen Teil ausklammern, ich glaub, das stimmt nicht im Leben. Die Sehnsucht, mal Verantwortung abzugeben oder sich wirklich restlos fallenzulassen, ich glaub, das ist ein Wunsch, den jeder hat. Die Frage ist nur, ob man sich das zugesteht oder nicht. Und dann auch noch den Schritt zu machen, zu sagen, ok, ich teil das auch noch mit. In normalen Beziehungen, wo keiner fähig ist, darüber zu reden ... die Erfahrung hab ich gemacht. Das lag an mir, ganz einfach deshalb, weil ich immer Probleme damit gehabt hab, meine Gefühle mitzuteilen und zu zeigen. Ich hab das dem Anderen, dem das gegolten hat, auch nie zugestanden und mir im Prinzip selber was vorgemacht, weil ich mir gedacht hab, wenn ich das nicht mitteile und nicht zeige, kann ich dann auch, wenn ich verlassen werde, nicht so verletzt werden, weil er wusste ja um das alles nicht gänzlich Bescheid. Natürlich hatte das auch mit SM zu tun, aber nicht ausschliesslich. Das ging so ineinander über. Ich habe etwas dargestellt - beziehungsweise, was ich ja auch wirklich bin - und hab in mir aber auch die andere Seite gesehen. Das war ein Widerspruch für mich, und ich hab Angst gehabt, wenn ich das zeige, wenn ich das ausdrücke, werde ich nicht mehr ernstgenommen. Dass die Birgit, die stark ist, die selbstbewusst ist, die weiss, was sie tut, die mit beiden Beinen auf der Erde steht, nicht mehr als das gesehen wird. Und mir selber ist es ja auch so gegangen, dass ich lange Zeit geglaubt hab, ich hätte mich jetzt jahrelang selbst belogen, damit, wie ich bisher im Alltag mein Leben geführt hab. Dass ich das gar nicht bin, dass ich mir selber was vorgenommen hab, das war für mich ein Widerspruch. Du machst jahrelang was, obwohl du es überhaupt nicht willst, du willst im Grunde genommen ganz was anderes sein. Du bist eine selbständige, berufstätige Frau und im Grunde des Herzens ziehts dich in die Familie, und du willst nur Hausfrau und Mutter sein und deinem Mann den Arsch nachtragen, das war meine Befürchtung. Dass ich dachte, ich muss einer Rolle entsprechen, die die Gesellschaft mir aufgedrängt hat, die ich nicht wollte. Ich bin im Prinzip mit sieben Jahren bereits auf eigene Füße gestellt worden, mit der Trennung meiner Eltern war ich sozusagen für mich selbst verantwortlich. Das heisst, ich musste das, es war nichts, was ich mir ausgesucht hatte. Und hab das auch natürlich weitergelebt. Das war für mich in Ordnung, genauso wollte ich sein und so sah ich mich auch. Und dann kamen aber dann irgendwann diese Sehnsüchte hoch, das zu tun, was mir jemand anderer befiehlt. Nicht was ich mir befehle, sondern das zu machen, was ein anderer will, nicht unbedingt immer, was ich will. Hilfe anzunehmen, in irgendeiner Form auch zu dienen. Und da hab ich einfach gedacht, naja, diese Jahre, die du jetzt anders gelebt hast, in denen wirklich nur du für dich selbst Entscheidungen getroffen, in denen du deine Frau gestanden hast, ob das eine Lebenslüge war, dass ich das nie wollte, dass ich mich da in frühen Jahren reindrängen lassen hab, das war für mich ein Widerspruch. Und dass ich das jetzt unter einen Hut gebracht hab und gesagt hab, das eine widerspricht dem anderen im Prinzip nicht. Dafür hab ich unheimlich lang gebraucht. Vier, fünf Jahre. Da hab ich mir erst meine Phantasien zugestanden. Wie die Phantasien begonnen haben? Da war ich so siebzehn, achtzehn, das ging eher schleichend. Am Anfang hab ich mir darüber auch keine Gedanken gemacht, aber man entwickelt ja doch bei der Selbstbefriedigung holt man sich auch eine Szenerie, und das waren, ja, am Anfang war das für mich einfach nur eine Vorstellung, in die ich mich reinfallen hab lassen, und die dazu gedient haben, mich selbst zu befriedigen. Ich hab das eh nur ganz schnell gemacht, um es schnell wieder ad acta zu legen, damit es aufgrund der Kürze im Prinzip gar nicht stattgefunden hätte. Wir haben zwar in der Familie eigentlich Körperbewusstsein mitbekommen, in dem Punkt hats keine Prüderie gegeben, ich wusste, wie meine Eltern nackt aussehen, wie mein Bruder nackt aussieht, aber über Sexualität war im Grunde genommen tabuisiert. Das hat vielleicht auch daran gelegen, dass meine Eltern sich getrennt haben, meine Mutter war alleine und hat im Prinzip, wenn man dieses einmal wöchentlich da mit ihrem Freund, wenn man davon absieht, hatte sie keinen Sex. Ausserdem komm ich aus einer katholischen Familie, aus einer konservativen Familie, ich hab vier Jahre in einer Klosterschule verbracht, im Internat. In der Schule war es mal so, in der Nähe hat es ein Internat gegeben, Post- und Telegraphenamtsschule, und da waren nur Burschen, die sind tagtaeglich bei unserem Gelände vorbei und ich hab mich mit denen unterhalten, so durch den Zaun durch, und wurde dabei erwischt. Also meiner Mutter ist erklärt worden, ihre Tochter wird irgendwann auf der Straße landen, weil die unterhält sich da einfach durch den Zaun mit jungen Männern! Aber ich glaube, das hat mit dem SM nicht so viel zu tun ... ein bisschen mit Sicherheit, ja. Aber ich weiss nicht, ob das wirklich jetzt mit meiner katholischen Erziehung zu tun hatte und nicht eher mit dem allgemeinen Bild davon, dass Selbstbefriedigung bei Frauen jetzt eher tabusiert ist. Das ist dieses Bild, Männer brauchen das, weil wenn sie's nicht machen, dann werden sie krank, und Frauen sind einfach nur Schlampen, die ihre Geilheit befriedigen wollen. Ich glaube, das hat jetzt wenig speziell damit zu tun. Eher das Problem, nicht darüber reden zu können, dass das mit der Erziehung zu tun hat. Ich hab das zu Hause nicht gelernt, darüber zu reden, mich meinem Partner mitzuteilen, und wie sollst du es dann eigentlich praktizieren können, wenn du's nicht kennst. Ich weiss auch noch, dass ich zu Hause, wenn im Fernsehen ein Film gelaufen ist, der irgendeine Bettszene hatte, und meine Mutter ist danebengesessen - ich hab mich so unwohl gefühlt, dass meine Mutter danebensitzt! Ich hab meine Mutter auch erst vor drei oder vier Jahren das erste Mal das Wort "Penis" aussprechen gehört. Darüber redet man nicht, sowas macht man still und heimlich, aber man redet nicht drüber.

Ich hab dann mit Sicherheit auch die falschen Männer getroffen. Also, die haben genau - mit 17, 18 bin ich dann zu einem linkspolitischen Studentenverband gekommen, das heisst: lauter emanzipierte Männer. Die Frau ist gleichgestellt, und im Bett war's dann halt so, wenn ich - ich konnt's ja nicht sagen, aber wenn ich versucht hab, zu zeigen, so, jetzt bitte, stell dich hin, ich will jetzt vor dir knien und dir kniend einen blasen, dann ist denen das unangenehm gewesen. Weil Frauen sind ja nicht mehr dazu da, um dem Mann zu dienen, sondern umgekehrt, wenn schon. Da war ja das grosse Bestreben, dass man's eher der Frau recht macht. Wenn ich das gemacht habe, hat man mich immer wieder hochgezogen. Ich hab's immer wieder probiert, aber die haben das einfach nicht annehmen können. Und ich hab's wiederum nicht geschafft, zu sagen: "Ich will das jetzt so. Und genau das bringt's mir jetzt." Also sind's halt jahrelang so Phantasien gewesen. Allerdings muss ich sagen, dass sich auch die andere Seite in meine Phantasien eingeschlichen hat. Also, umgekehrt jetzt, leichte, also nicht in krasser Form, aber so gewisse sexuelle Dinge, Demütigungen, die ich einem Mann angedeihen lasse. Das war eher so, dass ich gesagt hab, das ist eine Phantasie, die ich aber eigentlich nicht ausleben möchte.

Ich hab das alles überhaupt nicht mit SM in Verbindung gebracht. Weil das, was ich über SM erfahren hab, war das, was die Medien gebracht haben, und das hat mich nur erschreckt, damit wollte ich nichts zu tun haben. Damit habe ich mich auch nicht identifiziert. Das waren immer nur Bilder von Menschen, die aufeinander eingeschlagen haben. Das war ich nicht. Und abgesehen davon war es ja auch so im Bekanntenkreis, im Freundeskreis, meine Güte, wie oft sind dann einfach so Scherze gemacht worden "bin ich ein Masochist oder ein Sadist oder was?" - es ist einfach immer blöd drüber geredet worden. Damit hab ich mich lange nicht identifiziert. Das waren meine Phantasien, bei denen ich immer gespürt hab, es geht weiter, dass da noch sehr, sehr viel mehr dahintersteckt, aber wo instinktiv die Befürchtung da war, es gibt Dinge, die möcht ich eigentlich nicht wissen von mir. Ich könnt ja da auf was draufkommen, was eben nicht in mein Leben passt. Für mich wars halt was anderes, die Phantasie, dass ich vor einem Mann knie, der angezogen ist oder der grade mal seine Hose geöffnet hat, und ihm einen blase, das war für mich noch was anderes als das, was ich weiter in mir vermutet hab. Und irgendwie so brodeln gespürt hab, das war ein Unterschied. Ich hätt auch, muss ich sagen, gar nicht gewusst, wo ich mich hätte informieren sollen, ich mein, das Internet und so hat's ja nicht gegeben oder ich wusste nicht, dass es das gibt, und im Bekanntenkreis ... das war so um 1990 rum. Ich denke mal, die einzige Chance wäre gewesen, wenn ich jemandem begegnet wäre. Dass sich das dann da durch Zufall einfach im Gespräch herauskristallisiert hätte, dass ich dann eine Ansprechperson gehabt hätte, aber das war nicht.

Im Prinzip hab ich dann immer versucht, mir Männer zu suchen, die genau das Gegenteil von dem waren, was ich wollte. Ich hab so - wie soll ich das jetzt nennen, richtige Softies halt, handsam, gesucht, im Prinzip immer Männer, die eigentlich immer das getan haben, was ich wollte. Die mich auf Händen getragen haben, aber das hat mir nicht gepasst. Ich bin dann auch immer wieder ausgebrochen, weil es ist zwar ganz nett, einmal zwischendurch auf Händen getragen zu werden, aber es langweilt mit der Zeit unheimlich. Abgesehen davon, ich hab ja einen sehr dominanten Vater, und man wehrt sich ja mit Händen und Füßen gegen das Klischee, Frauen suchen sich immer Männer, die so sind wie ihr Vater, ich gehört doch nicht dazu! ich such mir doch keinen Mann, der so ist wie mein Vater!

Ich hab dann jemanden kennengelernt, der eigentlich ganz anders war, als die Männer, die ich bis dahin gehabt hatte, der wirklich versucht hat, mir Paroli zu bieten. Und da ist mir aber wieder mal meine Sprachlosigkeit im Wege gestanden. Ich konnte mich nicht mitteilen, weil, wenn ich mich mitgeteilt hätte, wäre ich angreifbar gewesen. Aber es war zumindestens ein erster Schritt: ich hab endlich mal einen Mann getroffen, wo ich gesagt hab, ok, so, wie er ist, der Charakter, die Stärke, das ist eigentlich genau das, was ich such. Der mir jetzt einfach mal zeigt, wo's langgeht. Und ich hab dann - sie habens ja nicht bös gemeint, aber als ich den zum ersten Mal so mit in den Freundes- und Bekanntenkreis genommen hab, waren sie alle entsetzt. Wieso lässt du dir das gefallen? Und ich hab nur gesagt, was heisst, ich lass mir das gefallen? Ich will das jetzt so, für mich ist das momentan richtig, ich find das toll, ich versteh mich mit ihm gut, ihr müsst euch ja nicht mit ihm auseinandersetzen. Das war so, wir waren essen gegangen, und ich hab immer Probleme mit einer Speisekarte. Setz mich vor eine Speisekarte und ich sitz drei Stunden später immer noch vor der Speisekarte und weiss nicht, was ich essen will. Ich hab da gesessen, er hat mir die Speisekarte aus der Hand genommen und gesagt, so, das isst du jetzt. Ich hab das toll gefunden, dass er das gemacht hat, ich hab das genossen. Und die anderen haben gesagt, das lässt du dir jetzt gefallen? Dass der dir sagt, was du jetzt zu essen hast? Naja, und dann hab ich mich auch nicht mehr wohlgefühlt ... es hätte ja meinem Image schaden können oder so, ja? Und dann ist das auch auseinandergegangen.

Dann hab ich jemanden kennengelernt, da hätt ich gesagt, es hätte alles gepasst. Und es war, jetzt im Nachhinein gesehen, bei uns beiden der Wunsch da, SM ausprobieren zu können, aber es ist irgendwie immer bei so Andeutungen geblieben. Wir haben uns schon Phantasien mitgeteilt, mit Augenverbinden, mit Fesseln, Wachs und so, aber es ist beim Mitteilen geblieben. Er ist dann schon so mit Andeutungen gekommen - also, ich hab zu dem Zeitpunkt keine Ahnung gehabt, was das Culture Houze für ein Club ist. Er hat nur gemeint, er würde mit mir dort gern mal hingehen, hat aber auch nicht gesagt, um was es sich da handelt. Es waren immer so Kleinigkeiten, die Erwähnung der "Geschichte der O" ... ich bin dann nicht so richtig darauf eingestiegen, und er hat es nicht fertiggebracht, sich konkreter dazu zu äussern.

Das ist dann auch auseinandergegangen, und kurz danach bin ich dann einem anderen begegnet, und bei ihm hab ich im ersten Moment gemerkt, da ist mehr, obwohl er nicht - in Anführungszeichen - danach ausgesehen hat, aber irgendwie wusste ich's. Wir haben uns ganz normal über gemeinsame Bekannten kennengelernt, in einem stinknormalen Lokal, das hatte überhaupt nichts mit SM zu tun, reiner Zufall. Naja, ich glaub nicht so richtig an Zufälle. Er hat mir auch ein Foto von sich gezeigt, dass das bestärkt hat, aber er hat nie irgendwas gesagt. Ich hab dann angefangen zu bohren und zu fragen, das praktisch aus ihm rausgekitzelt. Ich wollte mehr, ich wollte mehr wissen, ich hab gespürt, das ist da, und bin weitergegangen. Und schön langsam ist er dann damit auch rausgekommen. Aber er wollte nicht, dass ich etwas tue, nur weil ich verliebt bin. Dass das eigentlich nicht das ist, was ich will, sondern dass ich's nur tun würde, weil er's möchte, das wollte er nicht. Ich hab da unheimliche Schwierigkeiten gehabt, ihn davon zu überzeugen, dass das jetzt mit ihm nichts zu tun hat. Ich meine, das ist grotesk: du triffst jemanden und du musst ihn überzeugen, dass du das willst! Ein anderer nimmt das mit Handkuss und sagt bitte, komm! Wie es dann so weit war, ging es Schlag auf Schlag. Er hat sehr vorsichtig angefangen, so vorsichtig, dass ich das gar nicht richtig wahrgenommen hab. Er hat mir kleine Aufgaben übertragen, die ich dann einfach ausgeführt hab. Das wurde immer konkreter, dass ich irgendwas zu einem bestimmten Zeitpunkt machen musste, also nicht "gegen sechs", sondern "um 17:57 will ich haben, dass du mir das schickst". Und mir hat es großen Spass gemacht, die Aufgaben, die immer schwieriger geworden sind, auch erfüllen zu können. So grotesk es mir manchmal scheint, aber ich wollte ihm beweisen, dass ich das schaffe. Und zwar nicht um 17:56 oder 17:59, sondern um 17:57. Die Anweisungen sind dann immer schwieriger geworden und für mich manchmal absolut sinnlos, aber da war dann auch schon ein Punkt da, wo ich begonnen hatte, nicht mehr alles zu hinterfragen. Wo ich einfach gesagt habe, ok, er will das jetzt, also mach ichs. Was mir von Anfang an wichtig war, war, dass er das nicht permanent macht. Davor hab ich auch Angst gehabt, dass er irgendwann den Respekt vor Birgit verlieren könnte. Er sieht, dass er das mit mir machen kann und sieht in mir einen unselbständigen Menschen, dem er seinen Willen aufzwingen kann, den man gängeln kann. Ich hab darüber auch mit ihm gesprochen, ich hab gesagt: Ich hab wirklich Angst davor, wenn wir spielen, du erlebst mich in für mich demütigenden Situationen, du kannst mit mir machen, was du willst - du kannst das doch bestimmt nicht trennen voneinander. Die Birgit im normalen Leben ist eine starke, selbstbewusste Frau, und die andere ist es im Prinzip auch ... Er hat immer versucht, mir zu vermitteln - und das hab ich ihm am Anfang nicht geglaubt - im Gegenteil, er verliert nicht den Respekt vor mir, sondern ich steig im Respekt. Weil er eben die andere kennt und weiss, was das für mich für eine Überwindung sein muss, dass ich an meine Grenzen geh. Nur hab ich das nicht so gesehen. Wie auch? Ich war ganz neu dazugekommen, und er hat das schon seit Jahren praktiziert. Ich hatte panische Angst, er könnte den Respekt vor mir verlieren, den Respekt, den ich mir im Leben bisher erkämpft hatte. Ich hab ihm auch anfangs nicht geglaubt, dass das Gegenteil passiert. Ausserdem hatte ich das Problem, ich kannte nur ihn. Ich konnte nach wie vor nicht mit jemand anderem drüber reden, und vor allem nicht mit jemandem, der dieselbe Rolle spielt wie ich. Ich hab ihm einfach nicht zugetraut, dass er das nachvollziehen kann, weil er hat nie auf meiner Seite gestanden. Und ich sag mal, du kannst es gedanklich bis zu einem bestimmten Punkt nachvollziehen, aber ganz wirst du's nie verstehen können, wenn du's nicht erlebt hast. Vielleicht hätt ich mich leichter getan, wenn ich mal mit einer anderen Sub drüber gesprochen hätte. Dadurch bin ich dann auch auf #bdsm.de gekommen, weil ich da die Gelegenheit gesehen hab, mal mit anderen weiblichen Subs zu reden. Wobei ich da anfangs unheimliche Schwierigkeiten hatte: niemand wollte mit mir reden. Ich hab versucht, ein ganz normales Gespräch aufzunehmen, aber ich bin ignoriert worden. Nach zwei Wochen hab ich mich gefühlt wie eine Türsteherin. Ich hab immer jeden freundlich gegrüßt und verabschiedet, hab irgendwas versucht zu sagen, aber keine Reaktion. Es hat zwei, drei Leute gegeben, die mich wenigstens gegrüßt haben und ab und zu das Wort an mich gerichtet haben, aber damit hat sich's gehabt. Aber ich war motiviert genug, um dabeizubleiben. Ich bin mir so blöd oft vorgekommen zeitweilig. Und nach zwei Wochen hab ich mir gedacht, so, ihr arrogantes Pack. Ich hab gesagt, ich spendier jetzt mal eine Runde anlässlich des Jubiläums meines zweiwöchigen Daseins als Türsteherin im Channel, jemand, der immer freundlich grüßt, und ab und zu sagt mal jemand "hallo", und der Rest marschiert an einem vorüber. Da war dann das Eis gebrochen, weil die Leute registriert haben, die ist jetzt wirklich schon zwei Wochen eigentlich täglich da, die ist hartnäckig ... vielleicht doch kein Fake? Dann hab ich mich als erstes mit einer Österreicherin unterhalten, die etwa gleich alt war wie ich, und auch eigentlich erst sehr spät dazugekommen ist. Wir sind fast gleich alt und wir mussten beide erst an die dreissig werden. Und mit ihr konnte ich dann darüber reden, über meine Befürchtungen, über die Angst davor, er könnte den Respekt vor mir verlieren, die Angst, er könnte in mein Leben eingreifen in einer Weise, die ich dann doch nicht haben will. Dass er meine Grenzen irgendwann nicht mehr respektiert, nicht mehr akzeptiert. Und das hat mir wirklich geholfen.

Was ich mir am Anfang überhaupt nicht vorstellen konnte, dass das zeitweilig ein bisschen in den Alltag eingreift, das hat sich dann auch geändert. Mir macht das durchaus Spass, wenn's so gelegentlich in den Alltag eingreift. Vorher hab ich immer gesagt, konkret im Rahmen einer Session, aber so richtig scharf abgegrenzt. Es war gut, wenigstens im Channel mit jemandem drüber reden zu können, und trotzdem hat mir natürlich die Nähe gefehlt, also im Gespräch jemandem in die Augen sehen zu können oder jederzeit einen Zufluchtspunkt zu haben. Ich hab versucht, mit Leuten in meiner Umgebung - also nicht mit vielen, aber mit ein paar - drüber zu reden, und die waren entsetzt. Sie hätten es noch eher akzeptiert, wenn ich gesagt hätte, ich bin Top. Aber das andere überhaupt nicht. Sie haben dann zwar gemeint, ok, wir akzeptieren das, aber wir wollen nicht drüber reden. Sie wollten nichts hören, nichts Genaueres, zumindestens in der ersten Zeit. Bei einigen ist das noch immer so geblieben; zwei, drei haben dann doch begonnen, nachzufragen, und eine sehr gute Freundin ruft mich mitten in der Nacht an und fragt, ob mein Top Zuhälter ist. Ob ich mir sicher bin, dass er kein Zuhälter ist? Für sie war zum einen natürlich Berlin ein Sündenpfuhl, zum anderen war ihr dieser SM-Bereich nicht nachvollziehbar, der ja nur was mit Perversion zu tun hat und mit sonst nichts. Das war so gegen zwei Uhr morgens. Ich wollte dann, dass sie selber erkennt, was sie da gerade für einen Blödsinn redet, und hab immer wieder nachgefragt "sag mal, wie kommst du darauf?" Dass sie selber sagt, ja, aus dem und dem Grund. Sie hat es nicht ausgesprochen, sie konnte es nicht aussprechen, und dann nach einer Zeit hat sie's dann ausgesprochen, und in dem Moment, als sie's dann gesagt hat, ist ihr bewusst geworden, wie engstirnig und voreingenommen das eigentlich ist, zu glauben, nur weil das jetzt ein Teil einer Sexualität ist, die sie nicht fühlt, dass das jetzt mit Zuhälterei und weiss der Teufel was noch alles zu tun hat.

Damals war ich ja auch Frauenreferentin, und das lässt sich ja damit ohnehin nicht vereinbaren. Ich kann doch nicht auf der einen Seite für die Gleichstellung der Frau kämpfen, und auf der anderen Seite bin ich aber jemand, der sich zeitweilig gern unterwirft? Einem Mann unterwirft? Da bist du in der Zwickmühle, zuerst vor dir selbst: wie kannst du das vertreten? Und dann vor den anderen. Bin ich dann wirklich fähig, die Anliegen der Frau zu vertreten? Ich bin eigenartigerweise bei einer Frau auf Verständnis gestoßen, von der ich mir's am wenigsten erwartet hätte. Die aus einem sehr streng katholischen Elternhaus kommt, die enorme Probleme mit ihrer eigenen Sexualität hat. Von ihr hätt ich am allerwenigsten erwartet, dass sie das nachvollziehen kann. Und irgendwann mal hab ich bei ihr drüber zu reden begonnen, und sie hat sich dann auch weiter informiert. Sie war die erste, die angefangen hat, Fragen zu stellen, nachzuhaken - nicht gleich am Anfang, da musste sie das wahrscheinlich auch erst mal verdauen. Aber dann hat sie begonnen, nachzufragen, und ich hab dann auch gemerkt, sie informiert sich. Die anderen haben gesagt, das ist deine Angelegenheit, für uns ist es nichts. Sie haben es nicht direkt gesagt, aber schon deutlich vermittelt, dass sie darüber nicht reden wollen.

Innerhalb vom Verband ist es ja nur durch Zufall rausgekommen, mit einer Mail, die gefunden worden ist, die das deutlich gemacht hat, und die noch dazu jemandem in die Hände gefallen ist, für den ich immer eine Konkurrentin gewesen war. Und genau der hat das gefunden, noch dazu eine ganz saublöde Mail. Und zwar hab ich die "128 Regeln für Sklavinnen" geschickt bekommen - das war eigentlich gar nicht so gemeint, dass ich jetzt diese Regeln auswendiglernen sollte, ich sollte sie mir nur mal durchlesen und meinen Kommentar dazu abgeben. Auf jeden Fall wollte ich diese Mail ausdrucken, weil mein Drucker nicht funktioniert hat und ich mich gemütlich damit auf die Couch setzen wollte und die Mail nicht am Monitor lesen. Und die erste Seite ist missraten, die hab ich einfach in den Papierkorb geworfen, und er kommt nach mir ins Sekretariat und findet sie Seite. Keine Ahnung, warum er am Papierkorb war, auf jeden Fall hat er sie gefunden. Er ist sofort zu einer sehr guten Bekannten von mir gegangen, sie hat mir das dann erzählt, er hat geläutet, sie hat die Tür aufgemacht, er hat ihr die Mail vor die Augen gehalten mit den Worten: "Ich hab's immer gewusst: die Birgit ist verrückt!" Sie gesagt, was hast du denn da? Wie kommst du überhaupt dazu? Das interessiert mich nicht, das ist Birgits Angelegenheit, und daraufhin ist er damit wirklich hausieren gegangen. Ich wusste das nicht, ich war zu dem Zeitpunkt wieder mal in Berlin und hatte keine Ahnung, was da in Österreich passiert. Diese Freundin ist dann nach Berlin gekommen, weil die ihr Auslandssemester in Berlin macht, wir haben uns zum Essen getroffen und ich hab gemerkt, sie druckst wegen irgendwas herum, sie will irgendwas loswerden, und dann ist das aus ihr rausgeplatzt. Als ich dann nach Österreich zurückgekommen bin, war ich wenigstens vorgewarnt. Die haben mich behandelt wie eine Ausserirdische. Das ist nie mehr wie vorher geworden. Einige Männer dachten dann wohl, wenn sie mit den Fingern schnipsen, kriegen sie mich, weil eine Frau, die _das_ macht, die geht mit jedem ins Bett, die lässt sich von jedem ficken. Dann hat's ein "Fetisch-Fest" gegeben von diesem Studentenverband - man macht so Fetischfeste, damit man sich verkleiden kann wie im Fasching. Ich hatte nur mit anzüglichen Bemerkungen von der niedrigsten Art zu tun. Und dann ist mir nahegelegt worden - da wussten sie noch nicht, dass ich ohnehin gehe - es ist mir nahegelegt worden, mich ein wenig vom Studentenverband zu distanzieren. Ich muss aber sagen, nicht von allen Seiten, es gab durchaus Leute, die hinter mir gestanden sind und gesagt haben, das ist dein Ding und wenn's dir dabei gutgeht, ist das in Ordnung. Aber es waren eben Leute da, die gesagt haben, das geht nicht. Du kannst nicht eine Organisation vertreten, wenn du das praktizierst, noch dazu einen Verband mit dieser politischen Aufgabe, zur Unterstützung und Vertretung von unterprivilegierten Minderheiten, von Frauen. Teilweise hat es mich amüsiert, weil ich da bereits einen Punkt erreicht hatte, wo es mir gutgegangen ist, weil ich endlich das ausgelebt habe, was schon lange in mir gesteckt hat. Ich war sehr viel ausgeglichener als lange Zeit zuvor, aber es hat wehgetan. Ich hab sehr viel für diesen Verband getan, ich war zehn Jahre dabeigewesen, einige Jahre Frauenreferentin, vier Jahre Pressereferentin, und die kannten mich ja, die wussten, wer ich bin. Und wie ich meine Sexualität auslebe, geht keinen was an. Das Recht gestehe ich denen einfach nicht zu. Und mich dann abzuurteilen, den Menschen, den sie bisher gekannt haben, einfach unter den Teppich zu kehren, dass ein Teil von mir für sie so in den Vordergrund gerückt ist, und negativ in den Vordergrund gerückt ist - davon war ich maßlos enttäuscht. Wenn sich rausgestellt hätte, dass ich lesbisch wäre, hätten sie wenigstens wieder ihre Quotenlesbe gehabt, weil wir hatten ja schon seit längerem keine Lesbe mehr im Verband, das wär in Ordnung gewesen. Ich glaube, Aufklärungsarbeit hätten sie von mir auch nicht akzeptiert. Wenn jemand anderer gekommen wäre, ja. Aber von mir nicht mehr. Weil ich sie vielleicht mit etwas konfrontiert habe, mit dem sie einfach bis jetzt so gut wie keinen Umgang gehabt haben oder beziehungsweise auch immer nur das erfahren haben, was ich vorher erfahren habe, also die Negativseiten, und die müssen das jetzt einfach erst mal verdauen, die müssen sich damit für sich selber erst mal auseinandersetzen. In einiger Zeit vielleicht ja, aber jetzt noch nicht. Das war jedenfalls auch ein Grund, Österreich zu verlassen. Ich hätte in absehbarer Zeit nicht offen dazu stehen können. Können, ja, aber ich wäre sehr isoliert gewesen. Mit dem Zeitpunkt, wo ich begonnen hab, mich konkret damit auseinanderzusetzen, darüber zu reden, das an mir zu akzeptieren, ist auch der Wunsch entstanden, das auch nach aussen hin zu zeigen. Mich jedenfalls nicht verstecken zu müssen. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit. Und wenn ich das in dieser Umgebung nicht kann, dann such ich mir eine andere Umgebung. Das gesteh ich mir jetzt einfach zu, ich hab jetzt den Egoismus entwickelt, zu sagen, ich bin ich, ich steh zu mir, und wenn ihr das nicht akzeptiert, dann ohne mich. Ich geh. Und ich such mir die Leute aus, bei denen ich mich wohlfühle, von denen ich mich verstanden fühle. Ich hatte auch das Bedürfnis, mit Leuten zusammenzusein, die ähnlich empfinden, das ist doch ganz natürlich, dass man sich sonst ein wenig isoliert fühlt. Das kann man doch irgendwie vergleichen mit Schwulen oder Lesben - wenn die alleine mit sich sind, fühlen sie sich ja auch in einer gewissen Weise isoliert. Ich hatte in meiner Umgebung keine Leute, mit denen ich mich hätte austauschen oder einfach nur herumblödeln können. Es hätte mir geholfen in meinem Umgang mit mir selber, mit anderen drüber zu reden. Das heisst, es ist primär gar nicht darum gegangen, zu sagen, du, ich bin so, sondern eher indem ich darüber gesprochen hätte mit jemand anderem, hätte sich das für mich gefestigt.

Ich kann das jetzt nicht konkret sagen, aber möglicherweise wäre es besser gewesen, wenn ich mich vorher offensiv geoutet hätte. Ich bin jetzt überzeugt davon, dass dieser eine Teil von den Leuten mit Sicherheit genauso reagiert hätte, sich gar nicht weiter damit auseinandergesetzt hätten. Sie haben etwas Negatives an mir gefunden, das sie ausschlachten können, und vor allem den einen hätte gar nicht interessiert, worum es geht, und dass ihn das nichts angeht. Da ist vielleicht auch ein bisschen Sensationslust dabei. Bei den anderen ist es möglich, dass sie anders reagiert hätten, ja. Wenn ich die Uhr nochmal zurückdrehen könnte, würde ich das offen in einem Plenum auf den Tisch bringen. Wenn ich weiss, aha, es ist jetzt nun mal so, die Leute wissen davon, dieses und jenes Gerücht geht um, vieles wird verfälscht dargestellt - um dem den Wind aus den Segeln zu nehmen, würd ich's in einem Plenum als Tagesordnungspunkt ansprechen. Einfach sagen, so und so ist es. Entweder ihr akzeptiert es, oder ihr lasst es bleiben, aber es ist mein Leben. Ich hatte dazu ja nicht die Möglichkeit. Zu dem Zeitpunkt konnte ich gar nicht mehr reagieren, schon durch meine Abwesenheit. Es hatte ja auch niemand den Mut gehabt, sofort an mich heranzutreten und zu sagen, das und das ist passiert. Das war 1999. So offen man heutzutage über Sexualität spricht, das ist aber einfach ein Bereich, über den man nicht spricht, und ich mach es ihnen auch nicht zum Vorwurf, dass sie nicht gleich zu mir gekommen sind. Es war unangenehm für sie, darüber zu reden. Und erst recht, wenn du keine Vorstellung davon hast, worum es geht. Wenn ich vorher mal diese Regeln gelesen hätte - ich hab sonst überhaupt nichts damit zu tun, kenn das gerade mal aus dem Fernsehen oder aus Zeitungen, und dann krieg ich auch noch diese Regeln zu lesen, dann ist mein Bild vervollkommnet. Man tut sich ja schon schwer, zu jemandem zu gehen und zu sagen: Ich hab gehört, du bist schwul, ist das richtig? Oder: Du bist lesbisch, stimmt das? Da geht man ja auch nicht hin und fragt, oder? Wenn das jetzt Top-Regeln und keine Sklavenregeln gewesen wären, hätten sie vielleicht auch anders reagiert, aber so? Und dann noch das Wort "Sklavin"? Auch im Freundeskreis hätten sie mehr Verständnis dafür gehabt, wenn ich auf der anderen Seite stehen würde.

Meinen Eltern, also in der Familie überhaupt, hab ich es nicht erzählt. Zum einen wird da über Sexualität nicht gesprochen, schon gar nicht in der Richtung. Mein Bruder zum Beispiel hat schon enorme Schwierigkeiten, mit Schwulen umzugehen, und das wär für ihn unvorstellbar. Sie würden sich ängstigen. Das heisst, sie ängstigen sich ohnehin schon: ihre Tochter geht nach Berlin. Und wenn das dann auch noch dazukäme ... obwohl ich sagen muss, dass ich das ändern möchte. Und zwar, weil es durch diese Mail-Geschichten eben durchaus möglich ist, dass es über hundert Ecken irgendwie an meine Eltern herangetragen wird. Und mir ist es lieber, sie wissen's von mir und wissen dann wirklich Bescheid und geben sich nicht irgendeiner Vorstellung hin. Nur leider hab ich absolut keine Ahnung, wie ich das machen soll. Es gibt in der Familie einen Menschen, der darüber Bescheid weiss, das ist meine Cousine. Der hab ich's nicht gesagt, aber ich hatte den Ring am Finger, und sie hat den Ring erkannt. Sie verkehrt sehr viel mit Schwulen, ich glaube, sie ist einfach sensibler für sowas und passt auf. Meine Mutter wird Ende März, Anfang April zum ersten Mal nach Berlin kommen, und im Schlafzimmer hab ich mir schon eine Wand freigehalten, da soll das Andreaskreuz hin. Ins Schlafzimmer kommt ohnehin nicht jeder rein, und die Menschen, die bis in mein Schlafzimmer kommen, die können das ruhig wissen. Und durch die neue Stadt und die neue Umgebung kann ich mir jetzt ohnehin den Luxus erlauben. Ich geh nicht her und sag, hallo, ich bin Sadomasochistin, aber ich mache keinen Hehl daraus und es geht mir gut dabei. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Mutter dafür noch eher Verständnis hat; bei meinem Vater bezweifle ich das. Er ist schwarzer Politiker, katholisch, ich bin sowieso das rote Schaf der Familie, und dann kommt das noch dazu.

© Kathrin Passig - Ira Strübel 2000-2001